Der Orientalische Krieg in den Jahren 1853-1855

483 Pages·1855·16.76 MB·German

by  Robert Springer

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Der
1
Orientalische Krieg
in den
Jahren 1853-1855.
Von
Robert Springer.
Berlin, 1855.
Verlag von Carl Barthol.
3232
BIBLIOTHECA
REGIA
MONACENSIS.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite
Einleitung.
Verlauf der Ereignisse von Mentschikow's Ankunft
in Conſtantinopel bis zu den Kämpfen von Ruſcht
schuk und Schistowa 5-17
Das osmanische Reich.
AeltereGeschichte derTürken von derGründungdes
Reichesbis zuseinemVerfall nach Suleiman's Tode.
Constantinopel. Das alte Byzanz; seine Lage
und Umgebung , 18-37
Das russische Reich.
Gründung der normannisch-slavischen Fürstenthümer.
Geschichte bis Michael Fedrowitsch Romanow 38-40
KriegzwiſchenRußzland und der Pforte.
Die ersten Feindseligkeiten zwischen beiden Reichen.
Russisch-türkische Kriege. Friede von Belgrad, Kai
nardge, Jassy • 41-46
Rußlands wachsende Macht und der Türkei Verfall.
PeterderGroße. DieruſſiſcheNationalität. Peters
burg. Kronstadt. Das ruſſiſche Reich bis zum
Waffenstillstand zuKarlowiß. Das osmanischeReich
seit Suleiman 47-83.
Kaiser Nikolaus I.
Constantin's Thronentsagung. Die Verschwörung.
Rußlands Politik 84-91
IV Inhalt.
Seite
Die ruffisch-türkischen Feldzüge von 1828-1829.
A. S. Mentsdhikow. Der Kriegsschauplaß
in der europäischen und asiatischen Türkei.
Die Politik der Westmächte. Die Feldzüge vom
Uebergange über den Pruth bis zur Eroberung von
Kars durch J.F. Paskewitsch.' Fall von Adria
nopel. Friedensvertrag 92-127
Die ägyptische Frage.
DerVertragvonUnkiar-Skelesst. Reschid Pascha.
Politik der nordischen Mächte. Charles Napier.
Die Lösung · · 128-137
Die Reform-Periode der Türkei.
Kosru,Halil,Reschid. GrafStratford deRed
cliffe. Der Hattischerif von Gülhane. Der Tan
fimat. Verfalldes LehnswesensundderJanitscharen.
DieKriegsmacht. DieRegierungsform. Justizwesen.
DerGlaube. DieFinanzen. DerMünzfuß. Abdul
Medschid • 138-170
Ruszland unter dem Kaiser Nikolaus.
DerManufakturgeiſt. Landund Volk. Diegriechische
Kirche. Finanzkraft. Die Armee. Marine. Se
bastopol. Die Küste des schwarzen Meeres.
Die Alands-Inseln . . 171-194
Religiöse und politische Conflikte.
Risa Pascha. Omer Pascha. KriegimLibanon
und in Serbien. Aufstand in Albanien. Muſurus
und Koletti. Walachische Revolution. Vertrag zu
Baltan-Liman. Montenegro . 195-213
Wie heiligen Stätten.
Jerusalem. DieNationalkirchen. Capitulationenüber
das Schußrecht. Die Rajah's. Russische Rechtstitel 214-227
Die orientalische Verwickelung.
Die türkische Hauptstadt. Mentschikow's Sendung.
Russisches Ultimatum. Neues türkisches Mini-
sterium. Notenwechsel. DieWestmächte. Preußen
und Desterreich. Londoner Enthüllungen.
Testament Peters I. Politische Beziehungen; politi
1
Inhalt. V
Seite
sche und religiöseBedenken; die öffentlicheMeinung
über die russisch-türkische Streitfrage. Die Flotten
derWestmächtein derBefika-Bucht. Russisches Rund
schreiben v. 11. Juni, 26. Juni, Circular v. 2.Juli
1853. Erwiderung des franz. Kabinets. Note des
Diwan. Wiener Note vom 31. Juli. Wichtigkeit
der türkischenAbänderungen. Depesche anHerrn
vonKisseleffv. 1.August. DieRussenmarſchiren
in dieFürstenthümer, die verbündetenFlotten laufen
in die Dardanellen. Die Gefechte zwischen Ruſſen
und Türken an der Donau. Wiener Collectiv=
Note. Schlacht von Sinope. GrafAchille
Baraguay d'Hilliers. Ministerwechsel in der
Türkei. Schlacht bei Zetate. Die Tscherkessen.
Schamyl. Die vereinigten Flotten laufen in das
schwarze Meer. F. A.Hamelin. J. W. D. Dun
das. Ereignisse im Februar 1854. Aufstand der
Griechen. Entschiedenere Meinungen und Doktrine.
KritiküberdieWienerConferenz. PetersburgerJour
nal undMemorandumv. 18. Februar: Unmöglichkeit
der Nichteinmischung. Thronrede der Königin von
England. Protokoll vom 3. December. Napoleon's
Briefvom 29. Januar und die Antwort v. 9.Febr.
Englische Parlamentssißung v. 17. Febr.
P. v. Brunnow. A. Orloff. Desterreichs Hal
tung. Das Wiener Protokoll vom 9. April.
PreußensAntheil. Kriegserklärung v.28.März.
Rüstungen zur See undzu Lande. Lord Raglan,
Saint Arnaud. DieFinanzkraft derWestmächte.
Gallipolis. Ereignisse auf demKriegsschauplaße.
Beschießung von Odessa. Rußland und die
Kapitalmacht. Der Berliner Vertrag. Die Bewilli
gung der Anleihe. Darmstädter Coalition.
Vergleich der Protokolle v. 5. Decbr. und 9. April.
Die Erwartungen der Liberalen. Preuß. Depesche
vom 13.October. Buol's Depesche vom 10.August.
DeutschlandspolitischeStellung. Dievier Garan=
tien. DieOstseeflotte. Griechenland.Persien.Aegyp
VI Inhalt.
Seite
ten. Der asiatische Kriegsschauplah. Der Krieg an
der Donau. Rückzug der Russen. Die Dester
reicherbeseßendieWalachei. DieFlotteimschwarzen
Meere. Die Krim, Expedition gegen die
Krim. Vereinigung bei der Schlangeninsel. Muth
maßungenüberdieLandung. UntersuchungderKüste.
Landung beim alten Fort. Stellung der russischen
Armee. Die Heere in der Krim. Schlacht an der
Alma. Tod St.Arnaud's. Canrobert. Flanken
marsch der Alliirten. Die Motive. DieAlliirten
vor Sebastopol. Die Belagerung. Angriff auf die
russischenSeebatterien. Schlachtenv.25.u.26.Octbr.
und v. 5.November. Bruat und Lyons. Die engl.
Armee in derKrim. DieenglischeMiniſterkrisis und,
die Untersuchung über die Krim-Expedition. Die
Interprätativ-Protokolle. Der Tod des Kaisers
Nikolaus. Die zweite Wiener Conferenz. Abbruch
der Conferenz und Fortseßung des Kriegs. 228-480
Die politischen Wirren im Osten Europa's haben die
wichtigsten Tagesfragen veranlaſſt. Ein blutigesKampf
spiel auf der Bühne zweier Welttheile droht, das alte
Gefüge zu erschüttern, vielleicht zu zerreißen. Zwei euro
päiſche Staaten, Beide in Bezug aufCultur, ſtaatsrecht
liche Grundsäße und Aufklärung auf einer niederern
Stufe als die übrigen, sind in Fehde begriffen. Auf
einer Seite das Russenreich, massiv und gewaltig wie
das Reich der Römer; wie dieses sich einmischend in.
die Politik der Nachbarstaaten; als eroberungssüchtig
gefürchtet, gebieterische Forderungen stellend und den
Schwächeren Geseze diktirend. Auf der anderen Seite
ein Reich, welches schon längst auf seine Eroberungen
verzichtete, wodurch es einſt Europa's Schrecken geweſen;
eine Nation von zweifelhafter Fortlebekraft, unter un
klaren Gesezen einer theokratischen Regierung, durchKriege
und noch mehr durch bewaffnete Frieden" geschwächt,
inVerträgen übervortheilt, indem diplomatischenStaaten
verbande nicht für ebenbürtig gehalten. Diese Nation
erhebt sich gegen den überlegenen Feind mit der alten
Wehrtüchtigkeit, wodurch sie einst die Mauern Wiens
erschütterte, mit noch höherem sittlichen Aufschwunge,
dem Segen der Reformen, welche ihr gewaltsam aufge
drungen worden. Dieser Staat, der selber im Mittel
6 Einleitung.
alter den gefährlichsten Gegensaß zum Abendlande bildete,
stellt sich heute vorkämpfend der altorientalischen Maſſe
gegenüber, welche Europa bedrohet, wie einst dieHeeres
maſſen des Xerres das Culturreich der Hellenen.
In der gegenwärtigen Zeit, da man anfängt, den
Krieg nicht mehr für nothwendig zur Politik gehörig,
sondern für eine Unterbrechung derselben zu halten, er
wägen und unterhandeln die Mächtigen unserer feinen
und speculativen Staaten lange, ehe sie die Entscheidung
aufdie Spizedes Schwertes stecken. Desto mehrWichtig
keithat jezt derKrieg; denn manweiß, daß er als lezte
competente Rechtspflege über eine körperliche, handgreif
liche Sache entscheidet. Was früher möglich war: sich
wegen Theorien zu schlachten, oder wenigstens praktiſche
Zwecke hinter vorgeschobenen theoretischen zu verstecken,
-
das ist heut unmöglich geworden. Auch ficht man
nicht gegen Windmühlen und peitscht das Meer nicht
mit Ruthen.
England undFrankreich deuteten die russischen For
derungen anders als nach dem Wortlaut; und dem be
drängten Osmanenreiche zum Beistande, schloffen Beide
ein Bündniß, - ein Ereigniß, welches die kühnsten
Hoffnungen einer großen Partei überflügelte! Andere
Staatenhaben noch zu erwarten, ob sie von demKriegs
geschick mit ereilt werden, andere verharren in weiser
Neutralität, noch andere in ermüdender Principien-Er
wägung. Allgemein aber ist die Theilnahme an dem
Geschehenen und die bange Erwartung zukünftiger Er
eignisse. Während eine kleinere Partei die Uebelſtände
des Krieges willig trägt: die Hemmung des Handels
und des Geschäftsverkehrs, das Sinken des öffentlichen
--
Credits, die gesteigerten Abgaben, indem dieselbe theils
das Recht aufRußlands Seite erblickt, theils aber auch,
Einleitung. 7
indem sie, nur den Maßstab der Sympathien und
Leidenschaften anlegend, sich mit der Hoffnung schmei
chelt, daß der Staat, welcher den Bestrebungen
ihrer eigenen Feinde das Gegengewicht hält, den
―
Sieg davon tragen werde; so blickt gleichzeitig eine
viel größere Partei mit entgegengesezten Erwartungen
auf das blutige Wagespiel, indem sie durch das Ruſſen
reich nicht nur den äußern Wohlstand und die politische
Freiheit, sondern auch das geistige Licht, die Früchte der
Humanität, dieEntfaltung derWiſſenſchaften undKünſte
gefährdet sieht; indem sie mit der Niederlage jenes Ko
loffen zugleich den Eintritt einer neuen Zeit erwartet, in
welcherinfriedlichemVölkerverkehrund ungestörtenRechts
verhältnissen eine weite Gemeinschaft der Interessen, He
bung des Wohlstandes, Vermehrung der Lebensgenüsse,
Pflege des geistigen Lebens gesichert seien.
Bei einemKriege, welcher bis jezt die Zügel diplo
matiſcher Leitung nicht zerrissen hat, lässt es sich freilich
nicht voraussehen, zu welchen und wie großen Entschei
dungen derselbe führen werde, oder ob die Entscheidung
nicht gar, in Verhältniß zu den Erwartungen und An
ſtrengungen, ganz unbedeutend ausfallen und der Berg
—
nur eine Maus gebären werde.
Der Verlauf der Ereignisse war, in vorläufiger
Kürze angegeben, folgender:
Der russische Marine-Minister, Fürst Mentschi
kow, nachdem er bei Odeſſa über ein Landheer, bei Se
bastopol über die vereinigte Flotte des schwarzen Meeres
Heerschaugehalten, erſchien am 28.Februar 1853, imAuf
trage des russischen Kaisers, in Constantinopel, bewirkte
das Abtreten des türkischen Ministers der auswärtigen
Angelegenheiten, welcher sich als ein hartnäckiger Gegner
des russischen Einflusses gezeigt hatte, und drang auf
Verlaufder Ereignisse.
eine Schlichtung der Streitigkeiten zwischen den römischen
und griechischen Chriſten über den Besiß der sogenannten
HeiligenStätten, über die Rechte in Bezug auf das hei
lige Grab zu Jeruſalem und diejenigen Oerter, wo die
wichtigsten Ereignisse aus dem Leben Christi vorgefallen K
sein sollen. Da die französische Regierung, als Schüzerin
der römischen Chriſten, bei dieſer Angelegenheit betheiligt
war, muſſte Mentſchikow in die Zuziehung Frankreichs
zu den Verhandlungen willigen. Durch eine genügende
Erklärung des Sultans wurden zwar die Griechen gegen
alle Uebergriffe derLateiner sicher gestellt und beide Par
teien über die Aufrechthaltung ihrer Rechteberuhigt, allein
Rußland forderte jezt außerdem Verpflichtungen von
Seiten der Pforte, welche gegen künftige Vertrags,
verlegungen Bürgschaft leisten sollten, in der That
aber sein Schußrecht über die sämmtlichen chriſtlichen
Unterthanen der Pforte ausdehnte. Leßtere konnte sich
nur zu einer theilweisen Bewilligung dieser Forderungen
bereit erklären, woraufder FürstMentſchikow am 18.Mai
die officiellen Verhandlungen abbrach. Weitere Unter
handlungen zwischen dem Grafen Nesselrode und Reschid
Pascha scheiterten ebenfalls, wonach Jener drohete, Ruß
land werde die Donaufürstenthümer beseßen, jedoch ohne
Absicht aufEroberung und ohne an eineKriegserklärung
zu denken. Die Pforte antwortete mit einer, nach dem
Rath der europäischen Diplomaten, ſehr gemäßigt gehal
tenen Note, worin ſie darlegte, daß ein Eingehen auf die
russischen Forderungen mit ihrer eigenen Unabhängigkeit
nicht vereinbar sei; zugleichseßte ste ihrebisher geheimen.
Kriegsrüstungen nun in öffentlicher Weise fort.
Die Westmächte, die Kabinete von London und
Paris, schickten ihreFlotten nachdem Eingange der Dar
danellen, stellten dieselben zur Verfügung ihrer Gesandten