Table Of ContentRobert Kecskes
Das Individuum
und der Wandel
städtischer Wohnviertel
Soziologische Studien
Band 22
Das IndividuuIn
und der Wandel
städtischer Wohnviertel
Eine handlungstheoretische Erklärung
von Aufwertungsprozessen
Robert Kecskes
Centaurus Verlag & Media UG
1997
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Kecskes, Robert:
Das Individuum und der Wandel städtischer Wohnviertel :
eine handlungs theoretische Erklärung von
Aufwertungsprozessen 1 Robert Kecskes. -
Pfaffenweiler : Centaurus-VerI.-Ges., 1997
(Soziologische Studien; Bd. 22)
Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1995
ISBN 978-3-8255-0119-8 ISBN 978-3-86226-321-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-86226-321-9
NE:GT
ISSN 0937-664X
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vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm ader ein
anderes Verfahren) ahne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert ader unter Verwendung
elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt ader verbreitet werden.
© CENTA URUS-Verlagsgesellschaft mit beschränkter Haftung, Pfaifenweiler 1997
Umschlagabbildung: Konzeptionszeichnung des Hubertus-Haus von Aldo van Eyck, Amsterdam,
Holland 1982-I 987
Satz: Vorlage des Autors
Meinen Eltern Rita und Tibor Kecskes
Vorwort
Die vorliegende Arbeit, die von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen
Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen wurde, verdankt
ihre Entstehung in großen Teilen einem Stipendium der Volkswagen-Stiftung.
Durch die Einrichtung des Graduiertenkollegs für Sozialwissenschaften an der
Universität zu Köln hat die Stiftung Arbeitsverhältnisse geschaffen, von denen
jeder Wissenschaftler nur träumen kann. Mein erster Dank gilt daher der Volks
wagen-Stiftung.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichte mir die Finanzierung
der Primärerhebung. Auch ihr sei herzlich gedankt.
Besonders danken möchte ich zudem Prof. Dr. Jürgen Friedrichs, Dipl.-Soz.
Christof Wolf und Prof. Dr. Hartmut Esser. Alle drei genannten und viele hier
nicht namentlich aufgeführte Wissenschaftler machten das Dissertationsvorhaben
für mich zu einer spannenden Reise durch die Sozialwissenschaften. Vieles, was
ich bei ihnen gelernt habe, konnte ich nicht direkt für die vorliegende Arbeit ver
werten, doch es wird bei der Konzeption neuer Projekte, an die ich mich nun
machen werde, jederzeit abrufbar und hilfreich sein.
Schließlich möchte ich meinen Eltern und Katj a danken, auf die ich mich
jederzeit verlassen konnte.
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Inhalt
1. Einleitung 11
2. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete:
Eine kritische Betrachtung des Forschungsstandes 23
2.1 Der Aufwertungsprozeß 25
2.2 Die Pioniere und Gentrifier 30
2.3 Exkurs: Vorschlag zu einer Typologie von Nachfragern nach
Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt 34
2.4 Bisherige Erklärungsansätze 42
2.4.1 Erklärungsansatz I:
Aufwertung durch eine veränderte Nachfrage 42
2.4.2 Erklärungsansatz 11:
Aufwertung durch ein verändertes Angebot 46
3. Die Handlungstheorie und ihre Anwendung auf das Phinomen
der Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel 53
3.1 Die Logik der Selektion 57
3.2 Der Brückenschlag 64
3.3 Soziale Prozesse 70
3.4 Zusammenfassung und Implikationen fUr den weiteren
forschungslogischen Ablauf der Studie 85
4. Indikatoren einer veränderten Nachfrage nach innenstadtnahem
Wohnraum 89
4.1 Quantitativer Wandel 91
4.2 Pluralisierung von Lebensformen 98
4.3 Lebensstile und die Wahl des Wohnortes 110
9
5. Die Bewohner innenstadtnaher Wohngebiete: ihre Bewertungen,
Präferenzen, Wohnzufriedenheit und Auszugswahrscheinlichkeiten 119
5.1 Das Untersuchungsgebiet 119
5.2 Die Stichprobe 122
5.3 Die Bewohnergruppen, ihre Bewertungen und Präferenzen 127
5.4 Ein Modell der residentiellen Mobilität 140
5.4.1 Das Modell 140
5.4.2 Die Hypothesen 147
5.4.3 Zur Operationalisierung zentraler Konstrukte 150
5.4.4 Die empirische Prüfung des Modells der residentiellen
Mobilität 156
5.5 Anwendung des Modells der residentiellen Mobilität auf die
Bewohnergruppen innenstadtnaher Wohnorte 165
5.6 Zusammenfassung der Ergebnisse 170
6. Aufwertung durch eine veränderte Nachfrage nach
innenstadtnahem Wohnraum: Simulationsergebnisse 175
7. Weitere Einflußfaktoren einer Aufwertung 187
7.1 Akteure des Interdependenzsystems:
private Wohnungsanbieter 187
7.2 Öffentlich geförderter Wohnungsbau 203
7.3 Die Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen 208
8. Akteure, Handlungen und die Veränderung sozialräumlicher
Strukturen 213
Literatur 225
Anhang 243
10
1. Einleitung
"Die Leute haben Semmelweis nicht geglaubt, als er den Ärzten sagte, sie sollten
sich die Hände waschen, bevor sie die Gebärenden anfassen. Er sagte zu simple
Sachen. Die Leute glauben dem, der Haarwuchsmittel filr Glatzköpfige anpreist. Sie
spUren zwar instinktiv, daß er Wahrheiten zusammenkleistert, die nicht zusammen
halten, daß er nicht logisch ist und nicht seriös. Aber man hat ihnen gesagt, Gott sei
komplex und unergründlich, und daher empfinden sie Inkohärenz als etwas Gottllhn
liches. " (Eco 1989: 635)
Ausgangspunkt dieser Arbeit war ein spezifisches, stadtsoziologisches Erklärungs
problem: die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete von Großstädten (Gentrifi
cation). Nach Jahren einer Verschlechterung der Gebäudestruktur und einer Zu
sammensetzung der Wohnbevölkerung aus eher statusniedrigen Schichten, wird
seit geraumer Zeit in vielen nordamerikanischen und europäischen Großstädten
eine gegenläufige Tendenz festgestellt. Trotz unterschiedlicher Bedingungen fand
in fast allen westlichen Industrieländern in zunehmendem Maße eine Aufwertung
von innenstadtnahen Wohnvierteln in Großstädten statt (Williams 1986: 57).1 In
den innenstadtnahen Wohnungsbestand wird wieder investiert, Wohnungen werden
von Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, und die ansässige alte, eher ein
kommensschwache Bevölkerung wird durch jüngere, besser ausgebildete und bes
ser verdienende zuziehende Gruppen (sukzessive) ersetzt. So kommt auch die Ar
beitsgruppe "Innenstadt" des Deutschen Städtetages zu dem Ergebnis, daß viele
innerstädtische Wohnstandorte deutscher Großstädte wieder als attraktiv gelten und
einen hohen Prestigewert besitzen (Deutscher Städtetag 1986: 27).
Trotz eher kleinräumigen Veränderungen, Berry (1985) spricht von "Islands of
renewal in seas of decay" in den Städten der USA, hat der Prozeß sehr schnell
großes Aufsehen in den Stadtplanungsämtem und der wissenschaftlichen Stadtfor
schung erregt. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, doch ist nicht von der Hand
zu weisen, daß auf stadtplanerischer Seite die starke Beachtung aus der Unsicher
heit der Bewertung des Prozesses resultiert. Auf der einen Seite wird durch eine
erwartete Regenerierung von Wohnquartieren und die Bindung zahlungs-und steu
erkräftiger Bürger an die Stadt eine positive Entwicklung für die Gesamtstadt ge
sehen, auf der anderen Seite befürchtet man durch die Verdrängung ansässiger
Eine Übersicht filr die Städte in Nordamerika und Europa geben die Sammelbände von Laska
und Spain (1980), Palen und London (1984), Smith und Williams (1986) und Weesep und
Musterd (1991). Speziell auf die Städte der alten Bundesländer der Bundesrepublik beziehen
sich die Beiträge in Blasius und Dangschat (1990).
II
Bevölkerungsgruppen aus den innenstadtnahen Wohnquartieren zunehmende so
ziale Probleme. Das Dilemma für die Stadtplanung und die daraus folgende Pla
nungsunsicherheit machte 1990 der leitende Baudirektor der Baubehörde Hamburg
earl-Heinrich Busse sehr deutlich:
"Auf der Seite des Städtebaus ist mit Erhaltung, Umbau und Neubau in der Regel
immer eine Qualitätssteigerung in den alten Quartieren verbunden, die ihrerseits auf
vorhandene Strukturen einwirkt, z.B. auf Bodenpreise, Mieten und Branchenmix.
Damit scheinen weitere Konflikte vorprogrammiert zu sein, da ein Verzicht auf eine
weitere Entwicklung nach baulicher Art das Ende der Städte bedeuten würde."
(Busse 1990: 197)
Der damalige Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft Johann Eekhoff
stellt die Frage, ob die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel inzwischen nicht
schon zu weit vorangeschritten ist. Auch in seinen Ausführungen werden die Pro
bleme, die sich den Kommunen, Ländern und dem Bund stellen, sehr deutlich. So
schreibt er:
"Stadterneuerungsmaßnahmen verbessern die Nutzungsmöglichkeiten, werten die
GrundstOcke und Gebllude auf, verteuern das Gebiet ftIr die (bisherigen) Nutzer und
lösen Verdrllngungswirkungen aus. In Westdeutsch land muß darüber nachgedacht
werden, ob die Aufwertung alter innerstädtischer Wohngebiete nicht weit genug
vorangetrieben oder in manchen Stadten schon zu weit getrieben worden ist. Da
durch entsteht ein Konflikt zwischen stadtebaulichen Aufwertungszielen und dem
sozialen Ziel, Wohnquartiere ftIr einkommensschwache Haushalte zu erhalten."
(Eekhoff 1993: 12)
Für die Stadtsoziologen stellt der Prozeß einer Aufwertung innenstadtnaher Wohn
viertel vor allem eine theoretische Herausforderung dar, wurden sie doch von der
Entwicklung überrascht. Alle bis dato ausgearbeiteten Stadt- und Nachbarschafts
entwicklungsmodelle beschreiben vornehmlich die Phasen einer Abwertung von
Wohnvierteln und versuchen, die Mechanismen des Abwertungsprozesses aufzu
decken. Eines der in der Stadtsoziologie wohl bekanntesten Modelle ist das des
Invasio~Sukzessions-Zyklus, wonach eine statusniedrige Bevölkerungsgruppe in
ein Wohngebiet eindringt und die statushöheren, dort ansässigen Bewohner ver
drängt. Zwar wies McKenzie (1968 [1926]: 31) schon bei der Explikation des
Modells darauf hin, daß der Zyklus ebenso umgekehrt denkbar ist, und auch die
klassischen Nachbarschaftsentwicklungsmodelle von Hoover und Vernon (1959:
190ff.), Birch (1971) und Downs (1981: 61ff.) beinhalten die Möglichkeit einer
(Wieder-) Aufwertung von Wohngebieten. Unter welchen Bedingungen diese aber
stattfinden soll, wird von niemandem beantwortet. Mit dem Phänomen der Auf
wertung innenstadtnaher Wohnviertel kommen daher die alten Modelle ins Wan-
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