Table Of ContentTSCHICHOLD
GESTALT DES BUCHES
]AN TSCHICHOLD
Ausgewählte Aufsätze über
Fragen der Gestalt des Buches
und derTypographie
SPRINGER BASEL AG
Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage I993
Nachdruck verboten
Alle Rechte, insbesonders das der Übersetzung
in fremde Sprachen und der Reproduktion
auf photostatischem Wege
oder durch Mikrofilm, vorbehalten
© I 97 5 Springer Basel AG
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel I975
Softcoverreprint ofthe bardeover 2nd edition I 975
ISBN 978-3-0348-7800-5 ISBN 978-3-0348-7799-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-7799-2
9 8 7 6 5 4 3
Inhaltsverzeichnis
Jan Tschichold.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 7
Ton in des Töpfers Hand .. .. .. .. .. .. .. .. .. 9
Graphik und Buchkunst . . . . . . . . . . . . . . 14
Über Typographie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. r 8
Die Bedeutung der Tradition ftir die Typographie .. 3 r
Symmetrische oder asymmetrische Typographie? . . 41
Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite
und des Satzspiegels .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 45
Das traditionelle Titelblatt, typographisch . . . . . . . . 77
Satzregeln des Verlegers für den Drucker .......... ro8
Wie Probeseiten aussehen sollen . . . . . . . . . . . . . . . . r r r
Konsequenzen des Drittelsatzes ................ II5
Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen .. u8
Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen
im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen
Zeitschriften ............................ 124
Vom Durchschuß.. .. .. .. .. .. .. .. .. 139
Der Satz von Notenziffern und Fußnoten .. .. .. 143
Auslassungspunkte .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 149
Gedankenstriche .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 152
<H urenkinden und <Schusterjungen> ............ 155
Die typographische Planung von Tafel werken . . . . . . r5 8
Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen 177
Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier,
Lesebändchen .. .. .. .. .. .. .. .. r 82
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Bücher und Zeitschriften müssen einen Rückentitel
tragen .................................. 190
Schutzumschlag und Streifband ................ 193
Über breite, zu große und quadratische Bücher.. . . . . 199
Weißes oder getöntes Werkdruckpapier? .......... 202
Zehn der zurzeit häufigsten Kardinalfehler der Buch-
herstellung . . . . . ........................... 209
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
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Jan Tschichold
JANTSCHICHOLD ist ein Sohn der Stadt Leipzig und in ihr
am 2. April 1902 geboren.
1919 wurde er Schüler der Akademie ftir Buchgewerbe
und Graphik zu Leipzig. Von 1922 bis 1925 erteilte er an
dieser Hochschule den Abendunterricht in Kalligraphie.
1925 erschien in Leipzig sein Heft elementare typographie,
das im Verein mit seinem 1928 in Berlin erschienenen Buche
Die neue Typographie die Satzweise umgewälzt hat und bis
auf den heutigen Tag nachwirkt.
Seit 1926 war er Lehrer für Satzstil und Kalligraphie an der
Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München.
Unmittelbar nach der unrühmlichen <Erhebung> des Jahres
1933 wurde er, wie auch seine Frau, beide erklärte Gegner
des <Nationalsozialismus>, in <Schutzhaft> gesetzt und er
seines Lehramtes beraubt.
Tschichold wählte das Los der Emigration und fand in
der Eidgenossenschaft, in Basel, Zuflucht. Hier entwickelte
er sich zum Verkünder eines gereinigten Traditionalismus
der Typographie. Er ist heute Repräsentant eines akade
misch-klassischen Satzstils.
1946 wurde er nach England berufen, um dort das innere
und äußere Aussehen der weltbekannten Penguin Books zu
reformieren. Nach Erfüllung dieser gewaltigen Aufgabe
ging er nach Basel zurück. Er stand dort im Dienste eines
Weltunternehmens der pharmazeutischen Industrie. Er
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wurde 19 54 zum Direktor der Graphischen Akademie Mün
chen gewählt, lehnte es aber ab, diesem Rufz u folgen.
Ungezählte Schweizer Bücher und viele Millionen eng
lischer sind aus seiner Hand hervorgegangen. Seine Lehren
und sein Beispiel haben mehrere Generationen in Europa
und Amerika stark beeinflußt.
Die Reihe seiner eigenen Bücher, die Schrift, Schriftge
schichte, Typographie und chinesische Graphik behandeln,
umfaßt einschließlich der zahlreichen Ausgaben in andern
Sprachen über fünfzig Titel.
Für seine Verdienste um die Entwicklung der Typogra
phie als Kunst wurde ihm bereits 1954, als bisher einzigem
Europäer, die höchste Auszeichnung der graphischen Indu
strie der USA, die Goldmedaille des American Institute of
Graphie Arts, New York, verliehen. Jan Tschichold ist
Ehrenmitglied des Double Crown Club, London, und der
Societe typographique de France. Im Juni 1965 wurde er
von der Royal Society of Arts, London, zum Honorary Royal
Designer for Industry (Hon. R.D.I.) ernannt.
Am 3-Juli 1965 hat ihm die Stadt Leipzig im Jahre ihres
achthundertjährigen Besteheus den Gutenberg-Preis, die
höchste europäische Auszeichnung für Typographie, ver
liehen.
Im Jahre 1967 ernannte ihn die Deutsche Akademie der
Künste, Berlin, zum korrespondierenden Mitglied.
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Ton in des Töpfers Hand ...
VOLLKOMMENE Typographie ist eher eine Wissenschaft
denn eine Kunst. Beherrschung des Handwerks ist unerläß
lich, aber ist nicht alles. Denn der sichere Geschmack, der
das Vollendete auszeichnet, beruht aufe inem klaren Wissen
um die Gesetze harmonischer Gestaltung. Dieses geht zwar
in der Regel, obschon nur teilweise, aus einem ursprüng
lichen Gefühl hervor, doch bleiben Empfindungen ziemlich
wertlos, solange sie kein sicheres Urteil auszulösen vermö
gen. Sie müssen sich zum Wissen um die Folgen der forma
len Entscheidungen wandeln. Es gibt daher keine gebore
nen Meister der Typographie; nur allmählich kann man
sich zu einem solchen ausbilden.
Es stimmt nicht, daß sich über den Geschmack streiten
ließe, solange wir damit den guten Geschmack meinen.
Doch werden wir ebensowenig mit einem solchen geboren,
wie wir wirkliches Kunstverständnis mit aufd ie Welt brin
gen. Denn zu erkennen, wer oder was auf einem Bilde dar
gestellt ist, hat ebensowenig mit Kunstverständnis zu tun
wie das Urteil eines Laien über die Breitenverhältnisse der
römischen Buchstaben. Streitist überdies sinnlos. Wer über
zeugen will, muß es besser als andere machen.
Guter Geschmack wie vollkommene Typographie sind
überpersönlich. Der gute Geschmack wird heute irrtüm
lich oft als veraltet abgetan, da der Massenmensch auf der
Suche nach der Bestätigung seiner sogenannten Persönlich-
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keit die eigentümliche Form der objektiven geschmack
lichen ]\;orm vorzieht.
In einem typographischen Meisterwerk erscheint die
Handschrift des Künstlers ausgelöscht. Was von manchem
3ls persönlicher Stil3ngepriesen wird, sind kleine, nichtige,
zuweilen sogar schädliche Eigentümlichkeiten, die sich oft
für Neuerungen ausgeben, wie etwa der Gebrauch nur einer
bestimmten Schriftart, seien es entweder Groteskschriften
oder absonderlicheSchriftformen des neunzehnten Jahrhun
derts, die Vorliebe ftir bestimmte Schriftmischungen oder
die Anwendung scheinbar kühner Regeln, etwa nur einen
Schriftgrad für eine ganze Arbeit, selbst eine komplizierte,
zu verwenden und anderes mehr. PersönlicheTypographie
ist mangelhafte Typographie. Nur Anfänger und Dumm
köpfe können sie fordern.
Vollkommene Typographie beruht auf vollkommener
Harmonie aller Teile. Daher müssen wir lernen und lehren,
was harmonisch sei. Harmonie hängt von guten Verhält
nissen oder Proportionen ab. Proportionen stecken in allem:
im Gewicht der Ränder, in den gegenseitigen Verhältnissen
der vier Ränder einer Buchseite, im Verhältnis des Durch
schusses einer Seite zum Ausmaß der Ränder, im Abstand
der Seitenzahl von der Schriftfläche, im Ausmaß der Sper
rung von Versalzeilen im Verhältnis zum glatten Satz und,
nicht zuletzt, im Ausschluß der Wörter; das heißt, in allem
und jedem. Nur durch fortgesetzte Übung und strengste
Selbstkritik, durch dauerndes Lernen können wir den Sinn
ftir vollkommene Arbeit ausbilden. Die meisten geben sich
leider mit halbwegs guten Arbeiten zufrieden. Sorgfältiger
Ausschluß undrichtiges Sperren der Versalien scheint man-
IO
chen Handsetzern noch immer unbekannt oder unwichtig
zu sein, obwohl es für den, der sucht, nicht schwer ist, die
richtigen Regeln zu finden.
Da Typographie sich an jedermann wendet; bietet sie
keinen Raum für umwälzende Änderungen. Die Form nicht
eines einzigen Buchstabens können wir wesentlich verän
dern, ohne das Satzbild unsrer Sprache zu zerstören und da
mit unbrauchbar zu machen.
Bequeme Lesbarkeit ist die oberste Richtschnur aller Ty
pographie. Über Lesbarkeit kann jedoch nur det ein Urteil
fällen, der im Lesen wirklich geübt ist. Nicht jeder, der eine
Fibel oder auch eine Zeitung lesen kann, ist Richter; denn
beides ist in der Regel gerade noch leserlich, entzifferbar.
Entzifferbarkeit und ideale Lesbarkeit sind Gegensätze.
Gute Lesbarkeit hängt von der richtigen Wahl der Schrift
und der ihr angemessenen Satzweise ab. Gründliche Kennt
nisse in der Geschichte der Buchdrucklettern sind eine
unabdingbare Voraussetzung vollkommener Typographie.
Noch wertvoller ist eine tätige Kenntnis der Kalligraphie.
Die Typographie der meisten Zeitungen ist entschieden
zurückgeblieben. Ihre Formlosigkeit zerstört alle Ansätze
guten Geschmacks und verhindert dessen Ausbildung. Da
viele Menschen aus Denkfaulheit mehr Zeitungen als Bü
cher lesen, ist es kein Wunder, daß auch die übrige Typo
graphie, die der Bücher nicht ausgenommen, so wenig ent
wickelt ist. Woher auch soll selbst ein Setzer, falls er mehr
Zeitungen als sonst etwas liest, sein Wissen über guten ty
pographischen Geschmack beziehen? Und wie man sich an
geringes Essen gewöhnen mag, wenn man kein besseres
bekommen kann und daher jede Möglichkeit der Verglei-
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