Table Of ContentÄgyptologen und Ägyptologien
zwischen Kaiserreich und Gründung
der beiden deutschen Staaten
ZEitScHRiFt FüR ÄGyptiScHE SpRAcHE und ALtERtumSKundE
BEiHEFt 1
Herausgegeben von
Susanne Bickel, Hans-Werner Fischer-Elfert,
Antonio Loprieno, Sebastian Richter
Ägyptologen und Ägyptologien
zwischen Kaiserreich und Gründung
der beiden deutschen Staaten
Reflexionen zur Geschichte und Episteme eines altertums-
wissenschaftlichen Fachs im 150. Jahr der
Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde
Herausgegeben von
Susanne Bickel, Hans-Werner Fischer-Elfert,
Antonio Loprieno, Sebastian Richter
unter mitwirkung von Lutz popko
Wissenschaftlicher Beirat:
nicolas Berg, Elke Blumenthal, Haim Goren,
Günter Heydemann, thomas Schneider, thomas Widera
Akademie Verlag
Einbandgestaltung: hauser lacour
druck: concept medienhaus, Berlin
Bindung: norbert Klotz, Jettingen Scheppach
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© 2013 Akademie Verlag GmbH
www.degruyter.de/akademie
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Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
ISBN 978-3-05-006340-9
eISBN 978-3-05-006341-6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber.................................................................................................7
STEFAN REBENICH
Einleitung: Zwischen Verweigerung und Anpassung. Die Altertumswissen-
schaften im „Dritten Reich“...........................................................................................13
1. „… für die ägyptischen Studien in ihrem ganzen Umfange ein Centralorgan …“
Die älteste ägyptologische Zeitschrift im Spannungsfeld von Wissenschaft,
Politik und Ideologie
ERIC GADY
Deux décennies de relations égyptologiques franco-allemandes à travers la ZÄS..........39
THOMAS GERTZEN
„Brennpunkt“ ZÄS. Die redaktionelle Korrespondenz ihres Gründers
Heinrich Brugsch und die Bedeutung von Fachzeitschriften für die Genese
der Ägyptologie in Deutschland.....................................................................................63
HENNING FRANZMEIER und ANKE WEBER
„Andererseits finde ich, dass man jetzt nicht so tun soll, als wäre nichts
gewesen“. Die deutsche Ägyptologie in den Jahren 1945–1949 im Spiegel
der Korrespondenz mit dem Verlag J. C. Hinrichs.......................................................113
2. „…aus der Feder von Fachgelehrten …“
Ägyptologen und ägyptologische Institutionen im Spannungsfeld von Wissenschaft,
Politik und Ideologie
BARBARA MAGEN
Ludwig Stern. Ein Ägyptologe zwischen Keltologie und Bibliothek............................155
ALEXANDRA CAPPEL
„Etwas wirklich Nützliches leisten“. Henni von Halle, eine (fast) vergessene
Ägyptologin..................................................................................................................171
JEAN-MICHEL BRUFFAERTS
Bruxelles, capitale de l’égyptologie. Le rêve de Jean Capart (1877−1947).................193
6 Inhaltsverzeichnis
CORNELIUS VON PILGRIM
Ludwig Borchardt und sein Institut für ägyptische Bauforschung und
Altertumskunde in Kairo..............................................................................................243
SUSANNE VOSS
Der lange Arm des Nationalsozialismus. Zur Geschichte der Abteilung
Kairo des DAI im „Dritten Reich“...............................................................................267
JULIA BUDKA und CLAUS JURMAN
Hermann Junker. Ein deutsch-österreichisches Forscherleben zwischen
Pyramiden, Kreuz und Hakenkreuz..............................................................................299
ALEXANDER SCHÜTZE
Ein Ägyptologe in Königsberg. Zur Entlassung Walter Wreszinskis
1933/34........................................................................................................................333
DIETRICH RAUE
Der „J’accuse”-Brief an John A. Wilson. Drei Ansichten von Georg Steindorff.........345
3. „… Theil zu nehmen an der geistigen Eroberung des alten Aegyptens …“
Ägyptologische Praxis im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Ideologie
STEPHEN QUIRKE
Exclusion of Egyptians in English-directed archaeology 1882–1922 under
British occupation of Egypt..........................................................................................379
HARCO WILLEMS
War Gott ein „Spätling in der Religionsgeschichte“? Wissenschaftshistorische
und kognitiv-archäologische Überlegungen zum Ursprung und zur Brauch-
barkeit einiger theoretischer Betrachtungsweisen in der ägyptologischen
Religionsforschung.......................................................................................................407
BERNARD MATHIEU
Grammaire et politique. Réflexions sur quelques empreintes idéologiques
dans la terminologie linguistique des grammaires de l’égyptien ancien........................437
PASCAL VERNUS
Égyptologie: une discipline aux prises avec l’exceptionnelle valorisation
sociétale de son objet....................................................................................................457
Personenregister...........................................................................................................481
Autorenverzeichnis.......................................................................................................491
Vorwort der Herausgeber
Zum Anlass dieses Bandes
Im Juli 1863 erschien in der J. C. Hinrichs’schen Buchhandlung zu Leipzig zum ersten
Mal die „Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Alterthumskunde“. Die Gründung eines
ausschließlich dem Alten Ägypten gewidmeten Journals markiert eine Epoche der Profes-
sionalisierung der europäischen Ägypten-Forschung und ihrer Institutionalisierung als
Fach im geisteswissenschaftlichen Kanon des 19. Jahrhunderts. „Die Zeitschrift“ oder
„Ägyptische Zeitschrift“, wie sie im Fachjargon lange Zeit hieß, wurde von den deut-
schen Ägyptologen Heinrich Brugsch und Richard Lepsius begründet und herausgege-
ben1. Rascher als in anderen europäischen Zentren ägyptologischer Forschung war in
Deutschland die institutionelle Ausgliederung der Ägyptologie aus akademischen Kon-
texten wie der Klassischen Philologie, der Theologie und der Sprachwissenschaft voran-
geschritten. In den Gründungsjahren des Deutschen Kaiserreichs standen hier vier von
weltweit fünf Lehrstühlen des jungen Fachs2. Während 150 Jahren, in 140 Jahrgängen3,
ist die „Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde“ nicht allein das von
Brugsch apostrophierte „Centralorgan … für die ägyptischen Studien in ihrem ganzen
Umfange“4 gewesen, das immer wieder grundlegende Beiträge zur ägyptologischen For-
schung publiziert hat. Sie ist vielmehr selbst zu einem Archiv und Dokument des Fachs
Ägyptologie im Wechsel der Zeiten geworden und ist mit dessen Sternstunden und Tief-
punkten gleichermaßen eng verbunden.
Wie kann ihr Jubiläum heute angemessen begangen werden? Die gegenwärtigen Her-
ausgeber der Zeitschrift haben es zum Anlass genommen, eine Aufsatzsammlung über
„Ägyptologen und Ägyptologien zwischen Kaiserreich und Gründung der beiden deut-
schen Staaten“ erscheinen zu lassen und damit die Reihe „Beihefte zur Zeitschrift für
Ägyptische Sprache und Altertumskunde“ zu begründen5.
1 Nach dem Titelblatt des ersten Hefts des ersten Jahrgangs (Juli-December 1863) „herausgegeben
von Heinrich Brugsch in Berlin“; seit dem zweiten Jahrgang 1864 heißt es „herausgegeben von
C. R. Lepsius zu Berlin unter Mitwirkung von H. Brugsch zu Kairo“.
2 Ordinarien: Berlin seit 1846 (Richard Lepsius), Göttingen seit 1868 (Heinrich Brugsch), Strass-
burg seit 1872 (Johannes Dümichen); Leipzig seit 1875 (Georg Ebers, ao. Prof seit 1870); Extra-
ordinarien und Honorarprofessuren: München seit 1869 (Franz Joseph Lauth Honorarprof.); Hei-
delberg seit 1872 (August Eisenlohr ao. Prof., ab 1885 Honorarprof.).
3 Die Differenz ist ein Tribut an die Kriegs- und Nachkriegsjahre.
4 „Zur Benachrichtigung“, ZÄS 1, 1863, 1.
5 Als Band 2 der Beihefte erscheint in Kürze Sylvia Peuckerts grundlegende Arbeit über Leben und
Werk Hedwig Fechheimers.
8 Vorwort
Zum Inhalt dieses Bandes
Der vorliegende Band enthält sechzehn Studien zur Geschichte und Episteme des Fachs
Ägyptologie. In Einzelbeiträgen zu Personen, Institutionen und Konzepten der deutschen
und europäischen Ägyptologie wird ein knappes Jahrhundert ägyptologischer Fachge-
schichte episodisch referiert und reflektiert. Einige der Beiträge sind für die 43. Ständige
Ägyptologenkonferenz entstanden6, die 2011 in Leipzig unter dem Titel „Ägyptologen
und Ägyptologie(n) zwischen Kaiserreich und Gründung der beiden deutschen Staaten“
stattfand. Mit dieser Konferenz trat die historische Rechenschaftslegung und epistemolo-
gische Reflexion der deutschen Ägyptologie in ein Stadium, das andere Geistes-, auch
Altertumswissenschaften seit längerem erreicht haben7 und das sich bereits in den letzten
Jahren in der zunehmenden Beschäftigung von Ägyptologinnen und Ägyptologen mit der
Geschichte ihres Fachs angekündigt hatte8. Einige Beiträge sind eigens für den vorliegen-
den Band akquiriert worden9.
6 So die Einleitung von Rebenich, die Arbeit von Franzmeier und Weber im ersten Teil und die Beiträge
von Magen, v. Pilgrim, Budka und Jurman, Voss, Schütze sowie Raue im zweiten Teil des Bandes.
7 Vgl. zuletzt W. Bialas/A. Rabinbach (Hgg.), Nazi Germany and the Humanities, Oxford 2006;
Volker Losemann (Hg.), Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik: Gedenkschrift
Karl Christ, Philippika 29, Wiesbaden 2009; M. G. Ash/W. Nieß/R. Pils, Geisteswissenschaf-
ten im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Universität Wien, Wien/Göttingen 2010; F.-R.
Hausmann, Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“, Frankfurt a. M. 2011; W. Oester-
reicher/W. Selig/M. Selig (Hgg.), Geschichtlichkeit von Sprache und Text. Philologien –
Disziplingenese – Wissenschaftshistoriographie, Berlin/Paderborn 2012.
8 Vgl. die Beiträge in B. U. Schipper (Hg.), Ägyptologie als Wissenschaft. Adolf Erman (1854–
1937) in seiner Zeit, Berlin/New York 2006; S. Voss, Das DAI Kairo 1907–1979 im Spannungs-
feld deutscher politischer Interessen, in: Menschen, Kulturen, Traditionen. Die Forschungscluster
des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin 2009, 110–111; B. Savoy, Nofretete. Eine
deutsch-französische Affäre 1912–1931, Köln/Böhlau 2011; S. Voss, La représentation égypto-
logique allemande en Égypte et sa perception par les égyptologues français, du XIXe au milieu du
XXe siècle, in: Daniel Baric (Hg.), Revue Germanique Internationale, ‚Archéologies méditerra-
néennes‘ 16, 2012, 167–188; T. Schneider/P. Raulwing (Hgg.), Egyptology from the First
World War to the Third Reich: Ideology, Scholarship, and Individual Biographies, Leiden/Boston
2013; T. Gertzen, École de Berlin und ‚Goldenes Zeitalter‘ der Ägyptologie als Wissenschaft.
Das Lehrer-Schüler-Verhältnis von Ebers, Erman und Sethe, Berlin/New York 2013; S. Peu-
ckert, Hedwig Fechheimers „Plastik der Ägypter“ – Ägyptologie, Kunstwissenschaft und jüdi-
sches Schicksal, Beihefte zur Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde 2 (im
Druck); S. Voss, Ein „österreichischer“ Gelehrter im Dienst des deutschen Staates: Hermann
Junkers Amtszeit als Direktor des DAI-Kairo im „Dritten Reich“, in: C. Gütl (Hrsg.), Hermann
Junker – Eine Spurensuche im Schatten der österreichischen Ägyptologie und Afrikanistik, Wien
(im Druck); S. Voss, Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im Spannungsfeld deutscher
politischer Interessen, Band I: 1881 bis 1929, Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus
den Forschungsclustern des Deutschen Archäologischen Instituts, Band 8,1, Rahden/Westf. 2013
(im Druck), Band II: 1929–1966 (in Vorbereitung).
9 So die Beiträge von Gady und Gertzen im ersten Teil, die Beiträge von Cappel und Bruffaerts im zwei-
ten Teil und die Beiträge von Quirke, Willems, Matthieu und Vernus im dritten Teil des Bandes.
Vorwort 9
Noch vor dem ersten Teil des Bandes steht – anstelle einer Einleitung, und doch als
Propädeutikum zu verstehen – der Beitrag Stefan Rebenichs „Zwischen Verweigerung
und Anpassung: Die Altertumswissenschaften im ‚Dritten Reich’“. In diesem Text, den
Rebenich als Eröffnungsvortrag für die 43. Ständige Ägyptologenkonferenz 2011 ver-
fasst hat, werden Muster herausgearbeitet, wie sie sich in individuellen und institutionel-
len Entwicklungen der Zwischenkriegs-, Nazi- und Nachkriegszeit für die Alte Geschich-
te abzeichnen, ein altertumswissenschaftliches Fach, dessen Disziplingeschichte ver-
gleichsweise gut erforscht ist. Die exemplarische Bedeutung dieser Muster für die
Ägyptologie ist a priori wahrscheinlich und wird in einigen der folgenden Beiträge tat-
sächlich aufgezeigt. Deutsche Ägyptologen und ägyptologische Institutionen in der Zeit
des Nationalsozialismus sind ein prävalentes Thema des Bandes, doch nicht sein einzi-
ges. Der integrative Ansatz Rebenichs, der die Kontinuitäten in der Fachgeschichte von
der Vor- bis zur Nachkriegszeit berücksichtigt, liegt auch unserer Aufsatzsammlung mit
ihrem chronologischen Rahmen 1871/1949 zugrunde, besteht doch das Spannungsfeld
von Wissenschaft, Ideologie und Politik über politische Zäsuren und Reiche hinweg, wie
natürlich auch die Biographien der Akteure und die Routine der Institutionen.
Die drei Teile unseres Bandes sind unter Stichworte einer ägyptologischen Agenda ge-
stellt, die Brugsch 1863 im Editorial zum ersten Band der ZÄS formuliert hat.
Der erste Teil: „… für die ägyptischen Studien in ihrem ganzen Umfange ein Centra-
lorgan …“ enthält Arbeiten zur Geschichte der ZÄS. Zwei der Beiträge beziehen sich auf
ihre Frühzeit, einer auf die Nachkriegsjahre. Thomas Gertzen beleuchtet anhand von
Brugschs Korrespondenz die Rolle der Zeitschrift für die akademische Etablierung der
Ägyptologie und betrachtet sie aus vergleichender wissenschaftsgeschichtlicher Perspek-
tive. Éric Gady gelingt es, die Schwierigkeit der deutsch-französischen Beziehungen vor
und nach dem Krieg von 1870/71 in die nur scheinbar unpolitische ägyptologische Fach-
zeitschrift hinein zu verfolgen. Henning Franzmeier und Anke Weber zeigen auf der
Quellenbasis einer Verlagskorrespondenz, wie durch politische Divergenzen und Kriegs-
schicksale einander entfremdete Ägyptologen in ‚ersten Briefen’ an ihren Verleger das
akademische Terrain der Nachkriegsgesellschaft sondieren und in die Normalität zurück-
zufinden versuchen, was einigen bestürzend rasch gelingt.
Der zweite Teil: „… aus der Feder von Fachgelehrten …“ widmet sich Personen und
Institutionen. Barbara Magen und Alexandra Cappel leisten biographische Grundlagen-
forschung zu wenig bekannten Ägyptologen des Kaiserreiches und der Zwischenkriegs-
zeit. Während das ägyptologische, koptologische und spätere keltologische Werk Ludwig
Sterns bis heute präsent ist, war seine Person bisher so gut wie unbekannt. Henni von
Halle hier überhaupt zum ersten Mal nicht als bloße Dilettantin, sondern als Ägyptologin
gewürdigt. Jean-Michel Bruffaerts zeichnet die Frühgeschichte der belgischen Ägyptolo-
gie nach und stellt Jean Capart als Zentralfigur der Etablierung des Faches vor.
Die folgenden beiden Arbeiten von Cornelius von Pilgrim und Susanne Voss fokussie-
ren auf Personen als Repräsentanten einer maßgeblichen ägyptologischen Institution, des
„Kaiserlich-Deutschen Instituts für Ägyptische Altertumskunde“ in Kairo. Es wurde von
10 Vorwort
dem jüdischen Ägyptologen Ludwig Borchardt 1907 begründet und mit Unterbrechungen
bis 1929 geleitet. In diesem Jahr ging die Leitung des dann dem „Archäologischen Insti-
tut des Deutschen Reichs“ angegliederten Instituts an Hermann Junker über, der es nach
der Machtübernahme bis zur kriegsbedingten Schließung 1939 politisch auf Kurs brachte
und hielt, wie Susanne Voss aus ihren intensiven Archivstudien zeigen kann. Während-
dessen bemühte Borchardt sich vehement um die Begründung eines „Instituts für ägypti-
sche Bauforschung und Altertumskunde“, aus dem das heutige „Schweizerische Institut
für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde“ in Kairo hervorgegangen ist. Mit der
Person Herman Junkers in seiner Zeit in Wien vor und nach den Kairoer Jahren beschäf-
tigen sich auch Julia Budka und Claus Jurman, die bei allem Abwägen ein beklemmendes
Täterporträt entwickeln, wenn sie die Kontinuität von Junkers Engagement in antidemo-
kratischen, antisemitischen Akademikerzirkeln Wiens, seiner NSDAP-Karriere und der
Lüge seiner Selbst-Entnazifizierung nach dem Krieg dokumentieren.
Die letzten beiden Beiträge dieses Teils widmen sich Opfern der Rassegesetzgebung.
Alexander Schütze hat erstmals Archivalien zur Amtsenthebung Walter Wreszinskis
nach §6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ausgewertet und
stellt das bisher wenig bekannte Schicksal dieses jüdischen Ägyptologen in den weiteren
Kontext der Frage, was die Anwendung der Rassegesetzte für die deutsche Ägyptologie
bedeutete. Dietrich Raue nähert sich in drei Interpretationsschritten der komplexen Per-
sönlichkeit Georg Steindorffs, der jahrzehntelang einer der mächtigsten Ordinarien der
deutschen Ägyptologie gewesen war, bevor ihn die Härte der Rassegesetze traf. Während
Wreszinski nur ein Jahr nach seiner Versetzung in den Ruhestand jung starb, gelang
Steindorff im letzten Moment die Ausreise nach den USA, wo er gegen Kriegsende sei-
nen berühmten „J’accuse“-Brief verfasste.
Im dritten Teil, der unter dem – im 21. Jahrhundert seiner Unschuld gänzlich beraub-
ten! – Diktum steht: „… Theil zu nehmen an der geistigen Eroberung des alten Aegyp-
tens …“, werden schließlich Grundlagen und Bedingungen ägyptologischer Wissenspro-
duktion zum Thema gemacht und Fragen nach der Episteme des Fachs diskutiert: Wie
bestimmten und bestimmen zeitgenössische kulturelle Werte und weltanschauliche Axi-
ome das Zustandekommen ägyptologischer Daten und ihre Interpretation? Stephen Quir-
ke zeigt, wie sich in archäologischer Alltagspraxis in den Jahren vor und nach 1900 die
politische Gebundenheit der britischen Ägyptologie als eine wissenschaftliche Delegation
der Kolonialmacht spiegelt. Die folgenden beiden Studien gehen der Frage nach, wie
durch scheinbar neutrale, „deskriptive“ Terminologien fraglos akzeptierte Kategorien der
Religionsgeschichte (bei Harco Willems) bzw. historischen Linguistik (bei Bernard Mat-
hieu) in die wissenschaftliche Wahrnehmung von historischen Daten präinstalliert wer-
den. Im letzten Beitrag adressiert Pascal Vernus die gegenwärtige Ägyptologie und stellt
die heikle Frage, inwieweit eine traditionelle historische Verklärung der pharaonischen
Zivilisation und moderne, populäre Wertzuschreibungen an das Alte Ägypten die wissen-
schaftliche Aufrichtigkeit des Fachs korrumpiert haben und korrumpieren.