Table Of ContentRundfunk und Geschichte
21. Jahrgang Nr. 1 Januar 1995
Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte
··... ..
- Rundfunk in der Weimarer Republik:
Möglichkeiten und Wirkungen
- Entwicklung deutscher Fernsehprogramm
angebote (1985 -1993)
- Rundfunksendungen Helmut Heißenbüttels
- Hans Stein (1894- 1941)
- Die Deutsche Mediathek in Gründung
- Europäisierung der Pop- und Rockprogramme
Bibliographie
Besprechungen
I
Zitierweise: RuG -ISSN 0175-4351
i'!'
Autoren der längeren Beiträge i
I
Cha~ssee
Dr. Helmut Drück, Gründungsbeauftragter der Deutschen Mediathek, Rudower 3,
12489 Berlin.
Klaus Heimann, Westdeutscher Rundfunk, Schallarchiv, Appellhofplatz 1, 50667 Köl~.:
I'
I I
Dr. Rudolf Heinemann, Westdeutscher Rundfunk, Unterhaltende Musik, Appellhofplatz 1,
50667 Köln. 1
Priv.-Doz. Dr. Esther-Beate Körber, Freie Universitat Berlin, Friedrich-Meinecke-lnstitut,
Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. , '
::
Dr. Udo Michael Krüger, Institut fOr empirische Medienforschung GmbH, Riehler Str~ße 21, 50668
Köln. 1
•
I
Renate Schumacher, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin, Rundfuhkgeschichtliche
Forschung, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main. : '
Armin Stein, Ulmenweg 1, 61169 Friedberg.
Redaktionsanschrift
Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin, BertramstrJße 8,
60320 Frankfurt am Main, Tel. 069-15687212, Fax 069-15687200.
91 ..:
Dr. Marianne Ravenstein, Institut fOr Publizistik der Universitat MOnster, Bispinghof 14,
I
48143 Monster, Tel. 0251-834262, Fax 0251-838394.
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Redaktionsbeirat Dr. Wolf Bierbach, Dr. Michael Crone, Dr. Edgar Lersch.
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Redaktionsassistenz: Dr. Stefan Niessen.
! I
Redaktionsschluß: 17. Februar 1995.
Hergestellt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunkarchiv.
Inhalt
21. Jahrgang Nr. 1-Januar 1995
Aufsätze
Esther-Beate Körber
Eine Galaxis hinter Gutenberg
Die Diskussion Ober Möglichkeiten und Wirkungen des
Rundfunks in der Zeit der Weimarer Republik
3
Udo Michael Krager
Im Zeichen des dualen Systems
Die Entwicklung deutscher Fernsehprogrammangebote
von 1985 bis 1993
13
Dokumentation
Rundfunksendungen Helmut HeißenbOtteis
Ein Verzeichnis
26
Nachrichten und lnfonnationen
Programmarchive der Rundfunkanbieter
Perspektiven tor die wissenschaftliche Nutzung
Bericht Ober die Fachgruppensitzung
»Archive und Dokumentation«
(Klaus Heimann)
66
23. Doktoranden-Kolloquium des Studienkreises in Granberg 1995
(Marianne Ravenstein)
68
26. Jahrestagung des Studienkreises in Baden-Baden
69
Wilhelm-Treue-Stipendium tor 1996 ausgeschrieben
69
Schwarzes Brett
Hans Stein (1894 -1941)
(Renate Schumacher)
70
»Der blinde Fleck im Auge des Fernsehens«
Tagung zur Fernsehgeschichte
(Edgar Lersch)
73
Ein spatsommer1icher Publikumsrenner
70 Jahre Funkausstellung
(Timor Ferensen)
75
Buch, Buchhandel und Rundfunk (1945 -1949)
EineTagung
(Klaus Heimann)
76
Die Deutsche Mediathek in Grandung
(Helmut Drack)
78
Europaisierung der Pop-und Rockprogramme im deutschen Radio
Ein Pladoyer
(Rudolf Heinemann)
81
2 Rundfunk und Geschichte 21 (1995)
Bibliographie
Rundfunkbezogene Hochschulschriften
Diplomstudiengang Journalistik/
Katholische Universität Eichstatt
(1989- 1994)
(Walter Hömberg) 84
Zeitschriftenlese 67 (1.7. - 31.10.1994)
(Rudolf Lang) 85
Besprechungen
Sender Freies Berlin: Hans Poelzig
(Birgit Bernard) 90
Heide Riedel: 70 Jahre Funkausstellung
(Holger Kuhla) 90
Marita Biller: Exilstationen
(Ansgar Diller) 91
Ute Daniel/ Wolfram Siemann (Hrsg.): Propaganda
(Ansgar Diller) 91
Wolfgang Sehr: Das Kleine Orchester des Südwestfunks unter
der Leitung von Willi Stech
(Thomas Münch) 92
Klaus Neumann-Braun: Rundfunkunterhaltung
(Christian Filk) 93
Knut Hickethier: Film und Fernsehanalyse
(Edgar Lersch) 94
Klaus Merten u.a.: Die Wirklichkeit der Medien
(Christian Filk) 95
Dieter Stolte: Fernsehen am Wendepunkt
(Marianne Ravenstein) 96
Die Deutsche Bibliothek: Inventar zu den Nachlassen
emigrierter deutschsprachiger Wissenschaftler
(Ansgar Diller) 97
Heinz Boberach (Bearb.): Inventar archivalischer
Quellen des NS-Staates
(Ansgar Diller) 98
Hans-Bredow-lnstitut (Hrsg.): Internationales Handbuch fOr
Hörfunk und Fernsehen 1994/95
(Ansgar Diller) 99
Esther- Beate Körber
Eine Galaxis hinter Gutenberg
Die Diskussion über Möglichkeiten und Wirkungen
des Rundfunks in der Zeit der Weimarer Republik
Diskussion über neue Medien Vier Aspekte pragten, wie es scheint, das
Nachdenken Ober den Rundfunk in seinen ersten
zwischen Utopie und Skepsis
Jahren: Erwartungen an »den Rundfunke: als
ln der Diskussion Ober Folgen und Wirkungen Maschine, die man zum Senden benutzen konn
der elektronisch vermittelten Massenkommunika te; Erwartungen an »den Rundfunk« als Pro
tion sind mittlerweile die Argumente fast zu Ge gramm mit verschiedenen Aufgaben; Nachden
meinplätzen geworden. Dabei ist viel zu wenig ken Ober die Wirkungen des neuen Mediums auf
bekannt, daß diese Diskussion in vielen ihrer Hören und Sprechen; schließlich Vorstellungen -
Aspekte schon bei der EinfOhrung des Rund teilweise illusionare - von Medienkommunikation
funks in Deutschland seit 1923 stattgefunden Oberhaupt. ln dieser Reihenfolge tauchten die
hat. Die Diskussion drehte sich nicht nur um das Argumente chronologisch auf, und so sollen sie
Programm, sondern sehr frOh auch um die mög im folgenden beschrieben werden.
lichen Wirkungen des Mediums Rundfunk als
solchen. Skeptiker, aber auch die entschiedenen
Erwartungen an die
BefOrworter und Anhänger des neuen Mediums
machten sich Gedanken Ober seine Möglichkei »Maschine Rundfunk«
ten und die gesellschaftlichen Veränderungen, Programmiermöglichkeit:
die es auslösen könnte oder sollte. Der Rund-. Die Funkbastler
funk wurde - wie anscheinend jedes neu auftau
Funkbastler nahmen die Möglichkeiten des
chende Medium - zum Trager realistischer, aber
neuen Mediums als erste wahr. Wohl ahnlieh der
auch utopischer Zukunftserwartungen und von Il
ersten Generation von EDV-Begeisterten ver
lusionen, die sich teilweise als erstaunlich zahle
suchten sie, die neue Maschine zu »program
big erwiesen haben. Ein Blick auf die damalige
mieren« bzw. aufgrund eigener Kenntnis und
Debatte lohnt deshalb auch heute noch.
Manipulation zu bestimmen, was das Medium
Die deutschen Rundfunkzeitschriften der er
senden und empfangen sollte. Die Post freilich
sten Rundfunkjahre geben fOr diese Debatte ei
wollte den Kreis der Rundfunkberechtigten zu
ne Oberraschend aussagekräftige Quelle ab, ge
nachst klein halten, und es »sickerte durch«, daß
rade deshalb, weil sie in den meisten Fallen
die Empfangsgerate von der Post genehmigt
nach den Absichten ihrer Grander fOr das neue
Medium werben sollten.1 Wer dem Rundfunk werden mOßten. 3 Diese Bestimmung drohte den
Absichten der Funkbastler zuwiderzulaufen, die
nicht ausgesprochen skeptisch gegenOberstand,
vor allem senden4 und ihre Apparate auch ver
fand in den Rundfunkzeitschriften eine Möglich
Andem können wollten. 5 Oie Zeitschrift >Der
keit, sich zu außem, eine Spielwiese fOr gedank
Radio-Amateur< empfahl daher ihren Beziehern,
liche Experimente und die Formulierung kOhner
sich um eine :tExperimentierkastenlizenzc zu be
Hoffnungen. ln der Rundfunkpresse außerten
mOhen, wie sie in England Obiich sei. Bezeich
sich die Erwartungen an das neue Medium da
nenderweise sahen es die Funker-Zeitschriften
her besonders ungeniert, manchmal auch Ober
als ganz nebensachlich an, daß ein Funker auch
zogen.
die von der Post veranstalteten Radiosendungen
Daß die Rundfunkpresse dem neuen Medium
anhörte.6 Dator, so argumentierte der Kapitan E.
grundsatzlieh aufgeschlossen bis euphorisch be
Winkler im >Radio-Amateur<, könne die Post
gegnete,2 bedeutet also kein Hindernis bei der
nicht auch noch GebOhren verlangen, da das
Nutzung der Rundfunkzeitschriften als Quelle,
Abhören beim Funken nur nebenher geschehe.
aber eine Verlagerung der Fragestellung. Aus
For einige Bastler blieb das Radio auch wei
den Zeitschriften Jaßt sich ablesen, welche neu
terhin eine Maschine, mit der man senden konn
artigen Leistungen man dem Medium zuschrieb -
te7. Aus dieser Liebhaberei entwickelte sich der
auch solche, die sich spater als illusionar heraus
eigentliche Funksport. Er wurde aber vom »Ra
stellen sollten. Die Rundfunkpresse gibt Auskunft
dio als Programme in den Hintergrund gedrangt.
darober, worin fOr die ersten :tAnwenderc die
Oie Funkbastler bemOhten sich bald eher um ei
Faszination des neuen Mediums lag, und zeigt
nen guten Empfang der Sendungen und darum,
damit, weshalb sich die neue Technik trotz der
möglichst weit entfernte Sender aufzufangen.
Skeptiker gesellschaftlich durchsetzen konnte.
Technische Fach- und Bastlerzeitschriften trugen
4 Rundfunk und Geschichte 21 (1995)
dem Rechnung, indem sie veröffentlichten, wie Die Vorstellung eines weltweiten oder auch
man welche Sender empfangen könne,s Anlei nur »nationweiten« Publikums begeisterte offen
tung zur Beseitigung von Empfangsstörungen sichtlich. Aber sie erlegte nach Meinung der
9
gaben und technisch erklärten, wie man einen Rundfunk-Humanisten dem Sprecher im Rund
Empfänger selbst bauen 1o oder weiter verbes funk auch eine erzieherische Verantwortung auf.
11
sern konnte, sowie »Technische Anfragen« Nur besonders »WOrdige« und eindrucksvolle
beantworteten.12 Das Interesse der meisten »Persönlichkeiten« sollten im Rundfunk spre
Rundfunkteilnehmer aber wandte sich nicht dem chen dOrfen.20 Die Forderung nach »Persönlich
Medium als solchem, sondern den vermittelten keiten« taucht in der Rundfunkpresse immer wie
oder zu vermittelnden Inhalten, dem Programm der auf, wenn man meinte, Qualitatsverluste des
zu.13 Rundfunks beklagen zu massen.21 Was aber
eine Persönlichkeit charakterisiere, wurde nicht
gesagt. Anforderungen an eine Stimme oder an
Programmverbreitung:
den Aufbau eines Vortrags ließen sich offenbar
Die »Rundfunk-Humanisten«
leichter definieren als Anforderungen an eine
Einige der Vordenker des neuen Mediums könn Persönlichkeit. Weil das Medium nur auf einen
te man als •Rundfunk-Humanisten« bezeich menschlichen Sinn wirkt, kann es das vielschich
nen.14 Mit den Humanisten des Buchdruck-Zeit tige Phanomen »Persönlichkeit« weder aufneh
alters teilten sie das Vertrauen in die Macht der men noch vermitteln.
Bildung und den pädagogischen Ehrgeiz sowie Ein weiteres Ziel der Rundfunk-Humanisten
das Ziel, mit Hilfe eines neuen Mediums traditio war die Verbesserung der beruflichen Bildung.22
nelles Bildungsgut zu verbreiten. Dem »Rund Ähnlich wie nach der EinfOhrung des Buchdrucks
funk-Humanismus« verdankt sich das Schlag mit beweglichen Lettern gerahmt wurde, daß das
wort vom Rundfunk als »Kulturfaktorc.15 Um An neue Medium Buch den Lehrer OberfiOssig und
sprache an den Inhalt der Programme zu formu den Schaler in seiner Zeiteinteilung beweglicher
lieren, erwies sich der Begriff aber als nicht ge mache, 23 warben auch die Pioniere des Rund
nau genug. Schon 1925 spottete Hans Siemsen funks fOr dieses Medium als Bildungseinrichtung:
in der >Illustrierten Funkwoche<, daß »der Begriff Wer im Rundfunk ein fOr seinen Beruf interes
>Faktor< allerdings deutlicher umgrenzt ist als santes Programm höre, sei nicht mehr auf teure
der Begriff >Kultur<«. re Arten der Fortbildung wie Reisen und die An
Die größten Möglichkeiten schienen den schaffung von Bachern und Zeitschriften ange
Rundfunk-Humanisten darin zu liegen, daß Bil wiesen. 24 Die neue »unterhaltsamere« Art des
dungsgut durch den Rundfunk bildungsferne Lemens glossierte der anonyme »ltus« in der
Schichten erreichen könne.16 Sehr unbefangen >Funk-Post< mit einem scherzhaften Gedicht
rechneten diese Pioniere des Programms damit, darüber, wie der Schulfunk den Kindem außer
daß ein Arbeiter sich abends am Rundfunkgerat europaische Musik vorfahre -, die sich »ltus« al
Gedichte von Goethe oder einen Vortrag anhö lerdings nur als Heulen, Jaulen und Grunzen
ren worde, wenn er zu mOde ware, ein Buch zu vorstellen konnte. 25
lesen. Auch den landliehen Gebieten wollte der Padagogische Überlegungen ließen die
Rundfunk-Humanismus bOrgerliehe Kultur nahe Rundfunk-Humanisten auch die spezifische Mög
bringen.17 Ob die Landbevölkerung diese Bemo lichkeit des Rundfunks entdecken, Fremdspra
hungen schatzte und honorierte, ist aber nicht chen richtig verstehen und sprechen zu lehren.26
bekannt. Fremdsprachenunterricht gehörte zu den ersten
Das Stadtische bOrgerliehe Publikum brauchte hörfunkspezifischen Programmformen. Die
das traditionelle Bildungsgut meist nicht erst ken »Deutsche Stunde« in Bertin bot Englischkurse
nenzulemen. Die Rundfunkpioniere sahen aller schon 1924 im Programm an.27 Außer den
dings die Chance, den klassischen Werken brei Fremdsprachen, argumentierte Zorn im >Radio
tere Wirkung zu verschaffen, wenn Radios zum Amateur<, seien Deutsch und Geschichte dazu
Beispiel in Restaurants, Cafehausem oder Ho geeignet, im Rundfunk vermittelt zu werden.28
tels aufgestellt warden.18 Die Anregung soll von Mathematik und Naturwissenschaften brauchten
amerikanischen und Schweizer Sanatorien aus dagegen den optischen Eindruck und eigneten
gegangen sein, die Radios anschafften, damit sich fOr den Rundfunk nicht
sich ihre bettlagerigen Patienten Konzerte im Der Rundfunk-Humanismus bemOhte sich al
Rundfunk anhören konnten. Rundfunk-Humani so hauptsachlich, alte Inhalte auf neue Art an
sten dachten sogar an ein weltumspannendes mehr Menschen als bisher zu vermitteln. Er
Publikum fOr die klassischen Autoren: Goethe machte sich deshalb - mit der Ausnahme des
und Kant könnten im Medium des Rundfunks zur Fremdsprachenunterrichts - keine Gedanken
ganzen Welt sprechen 19 - wobei man Ober die Ober die besonderen Möglichkeiten des neuen
sprachlichen Barrieren großzügig hinwegsah. Mediums. Das einzige medien-kulturelle Konzept
Körber: Eine Galaxis hinter Gutenberg 5
der Rundfunk-Humanisten, das der •Persönlich den Einsatz . des neuen Mediums Rundfunk
keit«, ließ sich mit rundfunkspezifischen Mitteln nachdachte, sah ihn oft als eine Art Unterhalter
nicht darstellen und hatte deshalb keine prakti und Zusprecher derer, die wenig •Ansprache«
sche Wirkung. Die eigentlichen Möglichkeiten hatten, zum Beispiel der Kranken,34 Alten,35
des neuen Mediums aber lagen nicht auf dem Krankenhauspatienten36 und anderer Einsa
Gebiet der Bildung, also der Vermittlung geord mer37 und nicht zuletzt der Blinden.38 Die Zeit
neten oder zu ordnenden Wassens, sondern auf schrift >Funk< veranstaltete eigens eine Samm
dem Gebiet der Information, die nur zeitlich auf lung, um Blinden den Kauf von Rundfunkgeraten
gereiht werden muß und sofort gebraucht oder zu ermöglichen. 39
verbraucht werden soll. Bildungs- und HUfsbestrebungen verbanden
sich in der Forderung, der Rundfunk mOchte sich
an »die Jugendlichen« wenden40 - auch wenn
Erwartungen an das Medium Rundfunk
unklar blieb, in welcher Form das geschehen
Hilfe durch schnelle Nachrichten
sollte. Am einfachsten ließ sich offenbar der
Obermittlung und persönliche Verbindung Schulfunk im Schulunterricht oder der Landfunk
in der beruflichen Bildung junger Landwirte ein
Die besonders schnelle NachrichtenObermittlung
setzen. Im Jahrbuch der Deutschen Welle von
und Aktualitat des Mediums Rundfunk stand nur
1928 berichteten Lehrer von den anregenden
gelegentlich im Mittelpunkt der Betrachtungen. 29
Wirkungen solcher Schulversuche.41 Auch eine
Vielleicht war der Hörfunk der Druckerpresse
mittelbare positive Wirkung traute man dem Me
noch nicht so sehr Oberlegen, da Zeitungen zu
4
dium zu: 2 •Ist es nicht schon ein Verdienst
mindest in Berlin noch bis zu viermal taglieh er
wenn der Rundfunk viele, die ihre Abende in de;
schienen. Der Landbevölkerung boten die HOr
Kneipe zubrachten, Jugendliche, die ihre abend
tunknachrichten aber die größte erreichbare Ak
liche Erholung auf der Straße und den Rummel
tualitat. 30 Andere Informationsformen brauchten
platzen suchten, ans Haus fesselt?«
geradezu die besonders schnelle oder zeitglei
Dahinter stand die Vorstellung, der Rundfunk
che Information: Die Berliner Funk-Stunde sen
könne, indem er die ganze Familie um sich ver
dete z.B. das •Zeitzeichen«. Eine Werbebro
sammle, zur Verstandigung und Harmonisierung
schore fOr den Rundfunk rahmte den Wetter
der Familienglieder beitragen - eine Erwartung,
dienst als Informationsmöglichkeit fOr die Land
die man spater auch dem Fernsehen entgegen
bevölkerung. Informationen Ober die lokalen
gebracht hat Daß beide Medien das Gesprach
Marktpreise seien vor allem fOr Hausfrauen ge
zwischen den Generationen jedenfalls nicht ver
dacht, die sich gegen Obervorteilung schOtzen
bessert und eher die Eltem als die Kinder zu
wollten. ln Betrachtungen Ober den Einsatz der
Hause gehalten haben, zeigt, daß die Erwartung
Funkamateure wurde auch erwogen, sie bei
einem verbreiteten Wunsch entsprach, der auf
Sturm- und Katastrophenwarnung heranzuzie
das jeweils neue Medium projiziert wurde.
hen.31
Projiziert wurde offensichtlich auch der
ln der ersten Zeit des Rundfunks fand auch
Wunsch nach starkeren und langer anhaltenden
die Möglichkeit der schnellen Verbindung von
Verbindungen zwischen Menschen. Man stellte
Mensch zu Mensch starke Beachtung. Dabei
sich »den Rundfunke als Gesprachspartner vor
wurden die Leistungen des Sprechfunks und des
und verschwieg dabei - oder hielt es nicht fOr nö
Hörfunks noch oft vermischt So wurde zum Bei
tig zu erörtern-. daß der Rundfunk fOr diese Auf
spiel angeregt, man möge die Funkbastler dazu
gabe ungeeignet ist, da der Hörer ihm nicht di
einsetzen, in abgelegenen Gebieten den Arzt,
rekt antworten kann. Die Verbindung und Beglei
die Feuerwehr oder die Polizei zu rufen.32 Auch
tung, die män erwartete und sich vorstellte, war
an einen Notruf und die Suche nach Vermißten
demnach eine rundfunkspezifische Illusion.
bei Bergunfallen wurde gedacht33 - Möglichkei
ten, die heute tatsachlich durch Sprechfunkver
bindung verwirklicht sind. Sie allein hatten den Völkerverständigung und
Rundfunk freilich nicht zu einem Massenmedium
nationale Propaganda
machen können.
Eine große Chance des Rundfunks sah man Das größte Publikum hatten die Rundfunk-Utopi
darin, daß er eine Art persönlicher Begegnung sten vor Augen, wenn sie sich eine weltweite
ertaube. Da im 20. Jahrhundert im allgemeinen oder wenigstens internationale Hörerschaft vor
nicht mehr laut gelesen wurde, war der Rund stellten. Sie trauten dem Rundfunk die Fahigkeit
funk das einzige Medium, das gewissermaßen zu, mehr als das Buch oder die Zeitung Grenzen
als Stimme auftrat - denn es war ja noch die zu Oberspringen. Diese Vorstellung lag nahe,
•Stummfilmzeitc. So konnte der Rundfunk als weil die »Atherwellenc sich ausbreiten können
Stimme eines unsichtbaren Gesprachspartners, ohne Widerstand an materiellen Hindernissen z~
Freundes und Begleiters erscheinen. Wer Ober finden. Daraus ergaben sich fOr die Vordenker
6 Rundfunk und Geschichte 21 (1995)
des Mediums Rundfunk zwei Zwecke, fOr die der Ausland könnte ein politisch ausnutzbares Natio
Rundfunk eingesetzt werden konnte: Völkerver nalgefahl entstehen lassen - obwohl diese Wir
standigung und nationale Propaganda. kung nicht ausgeschlossen war. Möglicherweise
Im föderalistischen Deutschland begann ware es politisch unklug gewesen, wenn Deut
»Völkercverstandigung in sehr geringer Entfer sche, die ihr Land gerade wieder international
nung: Eine wichtige Aufgabe des Rundfunks sa »hoffahigc machen wollten, sich allzu unverblümt
hen die Vordenker darin, daß er den einzelnen Ober propagandistische Möglichkeiten ausgelas
»Stammen« Deutschlands die Leistungen und sen hatten. Jedenfalls stand in den öffentlichen
die Eigenart des jeweils anderen »Stammes« publizistischen Stellungnahmen die Völkerver
vorfahren, zum gegenseitigen Verstandnis bei standigung gegenOber der politischen Propagan
tragen und die Deutschen fester miteinander ver da oder gar der Abgrenzung gegen fremde Völ
binden worde.43 Dazu wurde der Programmaus ker eindeutig im Vordergrund.
tausch als wichtig angesehen. Der Chefredak
teur des >Funk-Amateur<, Dr. Paul Gehne,
Die Folgen veränderter Wahrnehmung
sprach schon 1924 mit Staatssekretar Bredow
darOber.44 Verstandigung innerhalb des eigenen durch den Rundfunk
Volkes schloß fOr die Deutschen nach dem Er Die Sprache für das Ohr
sten Weltkrieg aber auch die Beschaftigung mit
Nicht nur die Tatigkeit des Menschen im Rund
den Deutschen im Ausland ein. JtAusland
funk sondern auch die Wirkung des Mediums
deutschtumc und Deutsche innerhalb der Gren
auf Menschen, auf ihre Wahrnehmung und ihr
zen des Reiches sollten wechselseitig voneinan
Verhalten wurde von den Pionieren der Rund
der erfahren.45 Diese Aufgabe schrieb der Direk
funkbetrachtung bedacht und vorweggenommen.
tor des Deutschen Ausland-Instituts, Dr. Fritz
Einige Autoren sahen - tor heutige Leser er
Wertheimer, der Deutschen Welle gleichsam als
staunlich klar - in der Einführung des Rundfunks
politischen Auftrag zu. Die Programme sollten
eine Medienrevolution, die der des Buchdrucks
den Deutschen im Ausland helfen, ihre kulturelle
ebenbürtig sei, aber in entgegengesetzter Rich
ldentitat zu bewahren und zugleich »nützliche«
tung verlaufe. 53 Ein anonymer Autor vergl~c~ in
und »tochtigec Glieder des Staates zu werden,
der Zeitschrift >Der Radio-Amateur< zum elnJah
in dem sie lebten.46 Daher regte Wertheimer an,
rigen Bestehen des Rundfunks die neue Erfin
in der Deutschen Welle Fortbildungsprogramme
dung mit der Gutenbergs und führte Thesen als
fOr die Deutschen im Ausland zu senden. Auch
bekannt auf, die noch heute als modern, ja als
die Beziehungen zu anderen Völkern sollte der
aktuell gelten würden:54
Rundfunk pflegen.47 Der BOrgermeister von
»Es ist auch schon von verschiedenen Seiten
Stettin erhoffte sich beispielsweise von der Eröff
darauf hingewiesen worden, daß der Rundfunk
nung des Senders Pommern 1926 die Vert~fun~
unsere gesamte innere Einstellung zu den Din
der traditionellen Beziehungen zu Skandlnavl
gen beeinflussen kann. Schon einmal ist eine
en.48 Zwar nicht Programmaustausch, wohl aber
solche Anderung der Einstellung erfolgt, damals,
Funkverbindung und Radiobotschaften gab es
als durch die Erfindung der Buchdruckerkunst an
sehr frOh auch nach Amerika, zum Beispiel in die
Stelle des Ohrs als Vermittler von Mensch zu
USA und nach Argentinien.49
Mensch das Auge trat. Es ist höchst interessant
Von grenzOberschreitendem Empfangen und
zu verfolgen, wie seit dieser Zeit immer mehr die
Rundfunkübertragungen ins Ausland war es nur
Einstellung zu den außeren und inneren Angele
ein Schritt zu der Idee, »deutsche Kulture plan
genheiten des menschlichen Lebens aus dem
maßig dem Ausland zur Kenntnis zu geben und
Gesichtssinn heraus erfolgt ist. Nun kommt der
dadurch »Propaganda« fOr Deutschland zu ma
Rundfunk und stellt das ursprüngliche Verhaltnis
chen. Das Wort »Propaganda« wurde dabei mit
wieder her. Wir hören wieder den Klang der Rei
positiver Wertung gebraucht, 50 ungetahr im Sin
me statt sie zu lesen, und der Rhythmus der
ne des französischen »propagandec. Vordenker
dichterischen Sprache klingt wieder an das viel
wie Fritz Wertheimer dachten an die Übermitt
fach entwöhnte Ohr.«
51
lung des klassischen deutschen Bildungsguts, Ahnlieh wie spater Marshall McLuhan55 und
das dem Ausland einen Begriff vom Deutschen
Michael Giesecke56 nahm der Autor an, daß das
geben sollte.
neue Medium die Wahrnehmungsweise des
Das Problem der propagandistischen Mas
Menschen beeinflussen und die Hierarchie der
senbeeinflussung tauchte im Gesichtskreis der
Sinne verandem werde. Der Chefredakteur der
Rundfunk-Pioniere ebenfalls auf, wurde aber nur
Zeitschrift >Funk<, Ludwig Kapeller, sah sogar
gestreift. 52 Wertheimer bemühte sich beinahe
ein neues »Zeitalter des Hörens« anbrechen,
krampfhaft, die gedankliche Folgerung auszu
und zwar in bewußtem Gegensatz zum Zeitalter
schließen, die Sendung klassischen Bildungs
guts und praktischer Ratschlage fOr Deutsche im
Körber: Eine Galaxis hinter Gutenberg 7
des Buchdrucks, da die gedruckte Sprache nur funk rühmte Kapeller den Schauspieler65 »in ei
7
eine »Übersetzung tordas Auge« sei. 5 ner Rolle, die· den Bann seiner halb-gebroche
Nach ersten Erfahrungen mit dem neuen Me nen Stimme auskosten ließ; diese Stimme, allein
dium stellte sich heraus, daß seine Fixierung auf durch Klang und Farbe gestaltend( ... )«.
den Gehörssinn sich auf die Disposition der Re ln einer grundsätzlichen Betrachtung Kapel
de im Rundfunk auswirken mußte. Der Schreib ters über »Die >Rede< im Rundfunkc66 heißt es:
stil hatte sich unübersichtliche Sätze und büro »Hier, im Rundfunk, steht alles auf dem Wort,
kratische Substantivierungen leisten können, und wenn es nicht kommt oder zögernd nur,
weil ein Leser innehalten, nachdenken und zu dann spannen sich die Nerven. Man wird also
rückblättem kann.58 Im mondliehen Rundfunk mit Pausen, mit >Ritardandos< hier arbeiten
vortrag wirkte die »Schreibe« nicht. Kapeller ver dürfen.«
spottete sie als eine BOrokratensprache, die nur Kapeller sprach die Erfahrung aus, daß das
den Zensor befriedige. Medium Rundfunk zu neuen Wahrnehmungen,
Durch kritische Besprechung von Rundfunk aber auch zu neuen Arten des Sprechens fOhrte.
sendungen, mehr durch Versuch und Irrtum als Die Stimme wirkt im Rundfunk allein durch ihr
nach Plan, schälte sich heraus, wie man in ei Timbre, ohne die optische Unterstatzung des
nem Hör-Medium sprechen durfte. Die Sprache Theaters. Damit begünstigt der Rundfunk cha
durfte sich mehr der Umgangssprache annä rakteristische, unterscheidbare Stimmen, die
hern, und auch den Dialekt akzeptierten die Kriti nicht unbedingt einem konventionellen Schön
ker, 59 zum Beispiel eine komische Wirkung des heitsideal entsprechen müssen. Kapeller deutete
Sächsischen.SO Volkstomlichkeit sollte aber nicht die Konsequenz seiner Überlegungen nicht an,
Schlampigkeit bedeuten - der nicht korrekte Ge obwohl sie sich schlüssig ergibt Der Rundfunk
brauch eines Dialekts wurde kritisiert.5 1 Dagegen tragt auch Stimmen, die tor das Theater zu leise
sah Ludwig Kapeller im >Funk< 1925 Möglichkei sind; er bringt intimere Wirkungen zur Geltung.
ten tar Dialektsendungen: Er lobte die AuffOh Zudem wirkt der Vortrag nicht nur wie bei der
rung einer Berliner Posse und empfahl Altred LektOre durch Gliederung und gedanklichen Zu
Braun von der Berliner Funkstunde, sich auch im sammenhang, sondern auch musikalisch, durch
Bereich des Wiener Volksstocks und zum Bei Sprachmelodie, Temposchwankungen, Pausen.
spiel bei Raimund nach rundfunkgeeigneten Diese Eigenarten der Stimme und des mondli
Spielen umzusehen.62 ehen Vortragsstils sah Kapeller Oberwiegend als
Zwei Wirkungen des Rundfunks auf die Spra Ausdruck der »Persönlichkeit« an. Er meinte,
che wurden also von den Zeitgenossen gesehen: man könne durch die Präsentation von Stimmen
die neue Notwendigkeit einer mOndliehen Rheto das »akustische Portrate von »Persönlichkeiten«
rik und die Rehabilitierung der Mundarten gegen zeichnen.67 Die Redewendung »mit Pausen ( ... )
Ober der vereinheitlichten Hochsprache. Der arbeitenc68 weist aber darauf hin, daß die musi
Rundfunk begünstigte diese Entwicklung, weil kalische Wirkung von Stimme und Vortrag kalku
Dialekt- bzw. Akzentunterschiede und Regiona liert werden kann. Auch dies sah Kapeller und
lismen auch in der Sprachmelodie sehr genau regte an, der Rundfunk möge neben Sprach
gehört und damit weitergegeben werden können. auch Sprechunterricht erteilen. Die Stimme sollte
Die Auffassung Marshall McLuhans, daß der laut Kapeller im Rundfunk einerseits Ausdruck
Rundfunk die Eigenarten der »Stamme« der Persönlichkeit sein, andererseits quasi-ob
(»tribalismc) hervorhebe, das gedruckte Wort jektives Werkzeug einer Kultur des Sprechens.
aber vereinheitlichend wirke,63 war den »Nach Daher wollte Kapeller die Rhetorik als Kunst der
denkern Ober Rundfunke zumindest ansatzweise mOndliehen Rede wiederbeleben. Der Gedanke,
vertraut. daß das Medium auch Einfluß darauf ausübt,
welche Stimmen sich Offentlieh Gehör verschaf
fen können, beschaftigte ihn dagegen nicht.
Die Eigenarten der Stimme im Rundfunk
ln kritischen Artikeln wandte sich Kapeller auch
Prinzipielle Illusionen Ober
den Eigenarten des Sprechens im Rundfunk zu.
Medienkommunikation
Rundfunkuntaugliche Stimmen gab es schon
nach wenigen Jahren nicht mehr, als die Technik Die Illusion der Unmittelbarkeit
den Klang jeder Stimme ohne Verzerrungen und
Betrachtet man zusammenfassend das Echo des
Verfälschungen wiedergeben konnte.64 Die Cha
Rundfunks im Bewußtsein seiner ersten Hörer
rakteristika einer Stimme aber ließen sich schwer
und »Macher«, so scheint es, als setze jedes
beurteilen. So versuchte Kapeller, aus eigenen
Medium zumindest eine einzige Unwahrheit Ober
Hörerfahrungen auf die grundsätzliche Wirkung
sich selbst in die Wett, nämlich die, daß es gar
von Stimmen im Rundfunk zu schließen. Anläß
nicht da sei. Es tauscht sinnliche Unmittelbarkeit
tich eines Auftritts von Theodor loos im Rund-
8 Rundfunk und Geschichte 21 (1995)
vor und wird auch von seinen Propagandisten der unpersönlich oder gar nicht. Die Vorstellung,
als unmittelbar wirkend vorgestellt. Selbst die er Rundfunk könne die persönliche Begegnung er
sten Rundfunkzuhörer hatten eher den Eindruck setzen, war wiederum eine Illusion. Nur wenige
von Un-mittelbarkeit, also lm-medialität, als den sahen so klar wie Ludwig Kapeller schon 1924,
eines Mediums. 69 Wie die Erwartungen an den daß beispielsweise das Lernen mit Hilfe eines
Rundfunk als Freund und Begleiter zeigen, hiel Mediums - ob aus Büchern oder durch den
ten sie die Rundfunkstimme fOr etwas Persona Rundfunk -die persönliche Arbeit mit einem Leh
les, Unvermitteltes, und nicht fOr Vermittlung an rer nicht ersetzen kann.72
ein, wenn auch verstreutes, Massenpublikum. Die Rundfunkhörer der ersten Generation hOrten
Sie trauten ihren Ohren mehr als ihren Augen. und begriffen den Unterschied zwischen media
Zur Erklärung dieses fOr uns merkwürdigen PM ler und personaler mündlicher Kommunikation
nomens muß man aber bedenken, daß die er meist nicht.73 Der Rundfunk war fOr sie- noch -
sten Rundfunkhörer die Rundfunkstimme nicht ein einfacher Teil ihrer Lebenswirklichkeit; sie
aus Distanz erlebten wie heutige Rundfunkhörer, empfanden keinen Bruch zwischen der medialen
sondern Kopfhörer trugen und die Rundfunk Wirklichkeit und dem •wirklichen Leben«, wie
stimme daher im eigenen Ohr hörten.70 Zudem heute oft geklagt wird.
waren die Nebengeräusche stark hörbar; die
Empfangsqualität war nicht so gut wie heute.
Die Illusion der Gemeinschaftlichkeit
Das bedeutete, daß die Hörer sich sehr konzen
trieren mußten, um wahrzunehmen, was gebo Auch von der Seite der •Macher« aus wurde das
ten wurde. •Innerliche« Wahrnehmung und hohe Medium geleugnet oder der Mediencharakter
Anforderungen an die Konzentration fOhrten da verwischt. Vordenker des Rundfunks glaubten,
zu, daß die Hörer bei den ersten Rundfunksen sie könnten durch den Rundfunk gleichzeitig ein
dungen nicht »geistig abschalten« und die Sen Millionenpublikum •erreichen« wie durch eine
dung •nebenher« hören konnten. Der Detektor Rede.7 <4 Sie vergaßen dabei, daß der Rundfunk
empfänger forderte völlige Konzentration, also als Medium zwar die Menschen Ober ein anderes
die geringste mögliche geistige •Distanz« zum Sinnesorgan erreicht, aber nicht prinzipiell auf
Medium. Der Eindruck von Unmittelbarkeit wurde andere Weise wirken kann als Buch oder Zei
dadurch wohl noch verstärkt. tung, namlich auf private Art, abhangig von sehr
Weil Rundfunkmacher und Rundfunkhörer so persönlichen Aufnahmesituationen. Diese Er
taten, als gebe es das Medium Rundfunk gar kenntnis mag noch dadurch verdeckt worden
nicht oder als sei es zumindest fOr die Kommuni sein, daß man anfangs Versuche unternahm, ei
kation zwischen Sender und Empfänger belang nen Saal- oder Gemeinderundfunk zu schaf
los, konnte die Illusion entstehen, Hörfunkkom fen,75 bei dem größere Gruppen vor Rundfunk
munikation sei, weil sie mondlieh ablaufe, nicht empfängern oder Lautsprechern gesessen hat
nur unmittelbar, sondern auch persönlich. Dar ten wie Theaterzuschauer vor der Bahne. Aber
aus folgte die weitere Illusion, Hörfunk könne spätestens nachdem das Experiment Gemeinde
auch persönlich wirken: als •Freudenbringer, rundfunk mißlungen war, also etwa 1926,76
Trostspender, Berater und Lehrerc11 oder als konnte man die Wirkungsweisen des Rundfunks
eine Art Kulturdolrnetscher, der den Völkern mit denen des Theaters oder der Rede fOr ein
wechselseitig ihre Eigenarten klarmachen und Massenpublikum nicht mehr vergleichen. Das
zum Verständnis beitragen könne. neue Medium Rundfunk wirkte nicht wie eine
Nun ist nicht daran zu zweifeln, daß man Rede in der Öffentlichkeit, noch schuf es poten
durch den Hörfunk :tTips geben«, Langeweile tielle Öffentlichkeit wie das Theater, sondern
vertreiben, WISsen vermitteln und Informationen Rundfunk wirkte in der - und in die - Privat
Ober fremde Völker und Lebensweisen verbrei sphare. Ludwig Kapeller erkannte das schon
ten kann; und das tat und tut Rundfunk auch bis 1924 und verlangte, der Rundfunk solle sich auf
heute. Die ersten Autoren, die Ober Rundfunk diese private Wirkungsweise einstellen. 77
schrieben, erwarteten jedoch mehr von diesem Die Radiohörer der ersten Generation mach
Medium, namlich persönliche Ansprache, die ten sich die :tPrivatheitc des neuen Mediums
vielleicht kleine, aber entscheidende Differenz schnell zunutze: Radio gehört wurde buchstab
zwischen • Tipc und Rat, Zerstreuung und Hilfe, Iich in allen Lebenslagen, weil diese Tatigkeit
Information und Lehre, Reisefahrerwissen und keine Vorbereitung brauchte, wenn man vom
Völkerverständigung. Diese Differenz laßt sich Aufsetzen der Kopfhörer und dem Einschalten
auch heute noch eher sparen als definieren, des Geräts absieht.
denn eine Wissenschaft vom Persönlichen ist
»Manche Maid, wenn schon Schlafenszeit,
fast ein Widerspruch in sich. Das Medium kann
steigt ins Bettehen empfangsbereit;
das Element der persönlichen Kommunikation
und sie genießt mit dem Ohr ihren Lieblingstenor,
weder enthalten noch vermitteln. Es wirkt entwe- horizontal ideal« -
Description:loren ging. Rundfunk als Untermalung gewöhnli- cher Arbeit .. Giesecke (wie Anm. 14), S. 499, S. 502, s. 504, s. 569 - 583. 57 Ludwig Kapeller: