Table Of ContentPaul Kellermann · Manfred Boni
Elisabeth Meyer-Renschhausen (Hrsg.)
Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik
Paul Kellermann · Manfred Boni
Elisabeth Meyer-Renschhausen (Hrsg.)
Zur Kritik europäischer
Hochschulpolitik
Forschung und Lehre unter Kuratel
betriebswirtschaftlicher Denkmuster
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1. Auflage 2009
Alle Rechte vorbehalten
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Lektorat: Katrin Emmerich / Tilmann Ziegenhain
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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-16314-7
Inhaltsverzeichnis
Manfred Boni, Paul Kellermann, Elisabeth Meyer-Renschhausen
Vorwort …………………………………………………………………….... 7
I. Bologna-Prozess und die aktuelle Hochschulentwicklung
Konrad Paul Liessmann
Bologna: Die Leere des europäischen Hochschulraums …………………...… 13
Reinhard Blomert, Elisabeth Meyer-Renschhausen
Kann man die Aufklärung kommerzialisieren? Die Hintergründe
der neuen Rahmenbedingungen für die Universitäten ……..………………... 27
Paul Kellermann
Geschäft versus Wissenschaft, Ausbildung versus Studium −
Zur Instrumentalisierung von Hochschulbildung und Universität ………….... 47
Thomas Loer, Sascha Liebermann
Technokratisierung durch Selbstentmachtung: Anmerkungen
zum Versagen der wissenschaftlichen Profession und eine
alternative Antwort auf die Probleme der Hochschule heute ……………...…. 65
Burkard Sievers
Die psychotische Universität: Sozioanalytische Perspektive
einer Organisation im verordneten Wandel ………….………………….…… 95
II. Von Fall zu Fall: Praxisberichte
Manfred Boni
Gutes Geld für gute Wissenschaft? Über die Reform
der Hochschulfinanzierung in Nordrhein-Westfalen ……….………………. 111
Andrea Tönjes
Ausflug nach Formalistan
Ein Erfahrungsbericht aus der schönen neuen BA/MA-Welt ………………. 125
6
Manfred Prisching
Die Vermessung der wissenschaftlichen Landschaft …………………….…. 147
Hartwig Brandl, Daniel Gunzer
ECTS: Die Workload-Problematik …………………………………………. 163
Max Preglau
„Bologna“ in Theorie und Praxis − ein europäisches Projekt
im Lichte lokaler Erfahrungen an der LFU Innsbruck …………………...…. 173
III. Die Prekarisierung des akademischen Mittelbaus
Sabine Berghahn
Ausschluss der Elite
Hochschulreform als Exklusion erarbeiteter Kompetenz? ………….….….... 189
Hans-Georg Müller
Wissenschaftlich Beschäftigte als Verlierer der Hochschulreformen
Die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen
Mittelbaus am Beispiel Nordrhein-Westfalens ………………..………..…... 205
Uwe Fricke
Ausbeutung an Hochschulen
Zur Zukunft der Lehrbeauftragten ………………………………………...... 217
Verzeichnis der Autoren ……………………………………………..……. 235
Vorwort
Zu Beginn des Wintersemesters 2008/2009 verzeichnet die Hochschulrektoren-
konferenz in Deutschland 80 staatlich anerkannte Hochschulen in privater Trä-
gerschaft, von denen immerhin neun Universitäten das Promotionsrecht zuer-
kannt wurde.1 Obwohl an diesen Universitäten und Fachhochschulen nur etwa
drei Prozent aller Studierenden eingeschrieben sind,2 ist ihre Leitungsform, ihre
Unternehmensführung, stilbildend auch für die staatlichen Hochschulen. Statt
Verwaltung als Behörden ist ihr Management als Unternehmen das Ideal und
neue Paradigma: Im Wettbewerb untereinander sollen und wollen sie Alleinstel-
lungsmerkmale entwickeln, aus wissenschaftlichem Reputationskapital wirkli-
ches Geldkapital durch neue Formen der Hochschulfinanzierung generieren,
einen Bildungsmarkt aufbauen und an und auf ihm bestehen.
Das betriebswirtschaftliche Leitbild tritt auf den Plan in einer Zeit, in der
notwendige hochschulpolitische und -didaktische Reformen erneut anstehen.
Die Bologna-Erklärung (1999) soll einen gemeinsamen europäischen Hoch-
schulraum schaffen, der die Mobilität für Studierende und Graduierte erleichtert,
der Nachfrage des Arbeitsmarkts nach hoch qualifizierten Kräften entspricht
und in der weltweiten Konkurrenz um Studierende und Ressourcen besteht.
Überdies versuchen die Reformen an den Hochschulen eine Antwort zu geben
auf die Krise der überkommenen Hochschulorganisation, die – so der Vorwurf –
zunehmend weniger vermochte, die erforderlichen Leistungen für im globalen
Wettbewerb stehende Volkswirtschaften zu erbringen.
Weil beide Entwicklungsprozesse sich vermischen, wurde „Bologna“ zur
Chiffre sowohl für eine Hochschulreform, der von Beginn an das Stigma der
Entqualifizierung der Lehrinhalte und der Verschulung anhaftete, als auch für
eine betriebswirtschaftliche Neuorientierung in der Hochschulorganisation, die
angesichts der finanzpolitischen Grenzen der Staaten ihren deutlichsten Aus-
druck in veränderten Finanzierungsformen und dabei auch in der Einführung
von Studiengebühren findet.
Schließlich überlagern organisationspolitische Eigeninteressen eines teilweise
neu entstehenden Bildungs- und Wissenschaftsmanagements sowie persönliche
Karriereinteressen die verschlungenen Prozesse. Solche Motive verbergen sich
hinter wohlfeilen europapolitischen Bekenntnissen, und weil dies zu häufig und zu
1 http://www.hochschulkompass.de/kompass/xml/index_hochschule.htm [26.9.2008]
2 Sebastian Balzter: Geschäftsmodell Universität. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.8.2008
8 Manfred Boni, Paul Kellermann, Elisabeth Meyer-Renschhausen
leicht durchschaubar ist, trägt eine im Namen Bolognas vorgetragene Hochschul-
reorganisation zur allgemein verbreiteten Europamüdigkeit und -skepsis bei.
Der vorliegende Band versammelt Beschreibungen unterschiedlicher Aspek-
te dieser Gemengelage und versucht sich in Analysen, die durchaus heterogen
ausfallen. Doch alle Autoren und Autorinnen vereint die Sorge um den Zustand
und die Entwicklungsperspektiven der Universität in Europa. Sie kritisieren,
dass die zeitgeistige Hochschulreform den Studierenden wie den akademischen
Lehrern und Forschern ein nur noch instrumentelles Verhältnis zu den Gegen-
ständen ihrer Wissenschaften aufnötigt, intrinsische Motivation vertreibt und die
Wissenschaftskultur zerstört. Damit stehen die Verfasser und Verfasserinnen
nun offensichtlich nicht allein.3 Selbst der Deutsche Hochschulverband, nach
wie vor ein Befürworter der Bologna-Reformen, sah sich genötigt, eine ernüch-
ternde Zwischenbilanz vorzulegen, und drängt auf eine Reform der Reformen.
Sein Präsident, Professor Dr. Bernhard Kempen, erklärte: „Es ist verantwor-
tungslos, die vielfältigen Probleme, die durch die Umstellung auf Bachelor- und
Master-Studiengänge entstanden sind, zu verharmlosen und als ‚Kinderkrank-
heiten’ zu deklarieren. Der Bologna-Prozess in Deutschland ist nur noch zu
retten, wenn massiv gegengesteuert wird. Mit einem bloßen Nachsteuern ist es
nicht getan.“ 4
Überdies raubt die aktuelle weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise dem be-
triebswirtschaftlichen Steuerungsmodell seinen Zauber, so dass sogar die Feuil-
letons bekannter wertkonservativer Zeitungen sich einer gewissen Kapitalis-
muskritik nicht entziehen können und sich in Absetzbewegungen üben: „Die
neoliberale Ideologie hat einen Vernunft- und Glückszusammenhang zwischen
Individuum und Globalisierung hergestellt, der ausschließlich ökonomisch be-
gründet war. Unsere Gesellschaft bewegt sich in ein Zeitalter des Unglücks
hinein.“ 5
Bevor eine neue Untergangsstimmung alle lähmt, plädieren die Autoren die-
ses Bandes für nüchterne, wenn auch nicht leidenschaftslose Bestandsaufnah-
3 Neoliberalisierung der Hochschule. Das Argument 272, 49. Jg. H. 4/2007. – Humboldts Alb-
traum: Der Bologna-Prozess und seine Folgen. Hg. von Franz Schultheis, Paul-Frantz Cousin,
Marta Roca i Escoda, Konstanz: UVK, 2008. – Das Elend der Universitäten: Neoliberalisierung
deutscher Hochschulpolitik. Hg. von Jens Sambale, Volker Eick, Heike Walk. Münster: Westf.
Dampfboot, 2008.
4 DHV, 04.9.2008: http://www.hochschulverband.de/cms/fileadmin/pdf/pm/pm12-2008.pdf
5 Frank Schirrmacher: Das Zeitalter des Unglücks. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
18.9.2008: 35
Vorwort 9
men. Ihr Anliegen ist, politische Diskussionen um Funktion, Aufgabe und Sinn
der Hochschulen in Europa erneut anzustoßen.
Allen, die ihre Texte zur Verfügung stellten, sei gedankt. Ein besonderer
Dank gilt Karen Meehan, B.A., ohne deren vielfältige Unterstützung der Band
so nicht zustande gekommen wäre.
Manfred Boni, Paul Kellermann, Elisabeth Meyer-Renschhausen
Dezember 2008
I. Bologna-Prozess und die aktuelle
Hochschulentwicklung
Konrad Paul Liessmann
Bologna: Die Leere des europäischen Hochschulraums1
„Wer bei Pflanzung oder Erneuerung wissenschaftlicher Anstalten mitzuwirken
hat, kann sich doch nicht genug vorsehen, ob er auch den Gegenstand, über den
er zu ratschlagen hat, und seine einzelnen Teile in ihrer wahren Beziehung auf-
gefasst habe.“ Was immer man von den Konferenzen der europäischen Bil-
dungsminister, die eine grundlegende Reform des europäischen Hochschulwe-
sens im Auge hatten, auch halten mag: dieser Satz aus Friedrich Schleierma-
chers Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn aus dem
Jahre 1808 gehörte ganz sicher nicht zu deren Maximen. Wohl aber scheinen
diese reformwilligen Politiker einer Gefahr erlegen zu sein, die Schleiermacher
klar diagnostiziert hatte: „Und leider, wie schwer ist es nicht zu vermeiden, daß
Neigung, daß besondere Verhältnisse, daß oft sogar ein fremdartiges Bedürfnis
nicht Einfluss erhalte auf die Überlegungen derer, die eben zu handeln haben.“
(Schleiermacher 1984: 81)
In der Tat: Es war nicht zu vermeiden. Das, was die unter dem Namen „Bo-
logna“ bekannt gewordene Umstrukturierung des europäischen Hochschulwe-
sens auszeichnet, ist weniger eine Auseinandersetzung mit dem Wesen und der
Idee der Universität, als vielmehr das Resultat besonderer Verhältnisse und vor
allem fremdartiger Bedürfnisse. Die von den europäischen Bildungsministern
im Jahre 1999 in Bologna vereinbarte Umstellung des postsekundären Bildungs-
sektors auf ein nur vordergründig dem angloamerikanischen Modell nachemp-
fundenes dreistufiges System entsprang der Idee, einen einheitlichen europäi-
schen Hochschulraum zu schaffen, um die Vergleichbarkeit und damit die Mo-
bilität von Wissenschaftlern und Studenten zu erhöhen. Was auf den ersten
Blick durchaus plausibel erscheint, erweist sich im Konkreten jedoch als ein
weiteres Moment im Prozess der Verabschiedung der europäischen Universi-
tätsidee (vgl. Hörisch 2006: 47ff.).
Initiiert wurde dieser Prozess durch die gemeinsame Sorbonner Erklärung
der Bildungsminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und Italiens
vom Mai 1998, in der ein einheitlicher Rahmen des europäischen Hochschulwe-
sens zur Erleichterung der Anrechnung von Studien vorgeschlagen wurde. Da-
1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein überarbeitetes und gekürztes Kapitel aus Konrad Paul
Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Wien: Zsolnay
172008.