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Anarchistisches Wochenblatt
NR. 050 München, den 27. Januar 2020 KW 5
EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUM FALL
LINKSUNTEN.INDYMEDIA
In den vergangenen Tagen konnte mensch wieder ein‐ Ist das verwunderlich? Ich finde nicht. Meiner Analyse bei verstehe ich nicht, worum es da‐
mal viel zu linksunten.indymedia lesen. Grund dafür zufolge ist jeder Staat autoritär – deshalb lehne ich ja bei gehen soll: Mithilfe einer staatli‐
war der anstehende Verhandlungstermin einer Klage auch jeden Staat ab. Es spielt dabei keine Rolle, ob es chen Institution gegen eine andere
gegen das Verbot der Seite, die im Sommer 2017 vom sich um einen faschistischen, einen kommunistischen staatliche Institution vorzugehen
Innenministerium abgeschaltet worden war. Ich muss oder einen demokratischen Staat handelt: Wer sich stellt das Handeln des Staates an
zugeben, dass ich die ganze legalistische und juristi‐ den in einem Staat geltenden Gesetzen widersetzt, sich nicht in Frage. Es legitimiert die‐
sche Debatte um linksunten.indymedia, die offenbar die*der wird bestraft – und zwar vom Staat -, wer ses Handeln vielmehr: Entweder
schon seit längerem geführt wird, aus Desinteresse einen Staat ernsthaft beseitigen möchte, die*der wird mensch bekommt bei seiner Klage
nicht verfolgt habe. Nachdem linksunten.indymedia als Staatsfeind*in verfolgt. Dabei ist dann mitunter recht, dann räumt der Staat zwar
2017 abgeschaltet wurde, war ich zunächst überrascht, auch egal, ob mensch sich – zumindest hinsichtlich des einen Fehler in einer seiner Institutio‐
dass das so verhältnismäßig unbeantwortet blieb: Si‐ nachweisbaren – innerhalb der geltenden Gesetze be‐ nen ein, ist aber zugleich selbst der‐
cher, medial – auf Webseiten und in sozialen Netzwer‐ wegt hat. Im Zweifel setzt sich jeder Staat auch über jenige, der diesen wieder richtet,
ken – gab es eine Flut von Solidaritätsbekundungen, seine eigenen Gesetze hinweg, um seine Feind*innen oder die Klage wird abgewiesen,
jedoch nicht auf der Straße, zumindest nicht in dem zu bekämpfen. dann bescheinigt eine Institution des
Umfang, den ich damals erwartet hätte. Umso über‐ Staates noch einmal, dass eine ande‐
raschter war ich, jetzt, rund 2,5 Jahre später, einigen II re schon im Recht war. In beiden Fäl‐
Wirbel um linksunten.indymedia wahrzunehmen und len, kann das dem Staat nur nützen,
Wie gehe ich damit um, wenn mich der Staat verfolgt?
das anlässlich eines Prozesses, der nicht etwa gegen denn wer soll das überhaupt kritisch
Diese Frage müssen sich täglich viele Menschen stel‐
die (vermeintlichen) Betreiber*innen von linksunten.in‐ sehen, wenn nicht einmal erklärte
len. Dabei hat jede*r verschiedene Handlungsmöglich‐
dymedia geführt wird (der ist meines Wissens nach Staatsfeind*innen darauf verzichten
keiten. Sich verstecken, sich zur Wehr setzen, sich für
eingestellt), sondern vielmehr anlässlich eines Prozes‐ wollen, sich zur Lösung ihrer Konflikte
unschuldig erklären, all das sind gängige Wege damit
ses, der gegen das Verbot von linksunten.indymedia, an eine staatliche Instanz zu wenden.
umzugehen. Unter bekennenden Staatsfeind*innen
gegen den Staat geführt wird. Und selbst wenn mensch all das au‐
scheint mir überraschenderweise auch die Variante
ßen vor lässt und mensch einmal an‐
Ich habe daraufhin versucht, die Perspektive, die so des „sich für unschuldig erklären“ weit verbreitet zu
nimmt, dass eine Klage Erfolg hat:
viele Menschen offenbar darin sehen, nachzuvollzie‐ sein. Überraschenderweise deshalb, weil ich mich als
Was habe ich dabei gewonnen? Bes‐
hen. Warum ist es den Menschen so wichtig, dass die Staatsfeind*in ja ganz bewusst in Opposition zum
tenfalls habe ich mich als Unschuldi‐
Verbreitung ihrer Ideen vom Staat legalisiert wird? Und Staat begebe. Dabei kann ich mich freilich zugleich
ge*r verharmlosen lassen, habe die
das wo die konkrete Repressionsgefahr gegen die (ver‐ auch verstecken, ich muss mich ja nicht unbedingt
Auffassung gestützt, dass Repression
meintlichen) Betreiber*innen doch bereits gebannt zu selbst an den Staat ausliefern, aber mich für unschul‐
schon in Ordnung ist, aber eben nur,
sein scheint? Diese Fragen habe ich mir gestellt und dig zu erklären erschließt sich mir persönlich nicht, ins‐
wenn sie sich gegen die richtigen
konnte darauf keine zufriedenstellenden Antworten fin‐ besondere dann nicht, wenn ich mich gar nicht in einer
richtet und bin damit all den anderen,
den. Stattdessen hat die Auseinandersetzung mit die‐ Notsituation befinde, in der mir beispielsweise mit
die in Konflikt mit dem Staat stehen,
ser Frage und das offensichtlich starke Bedürfnis der Knast gedroht wird. Des öfteren habe ich in den letzten
in den Rücken gefallen.
Menschen, dass sie in der Sache des Verbots von links‐ Jahren davon gelesen oder gehört, dass diese oder je‐
unten.indymedia vom Staat Recht bekommen, in mir ne Person, diese oder jene Gruppe nun eine Klage bei
das Bedürfnis geweckt darzulegen, warum eine Legali‐ einem Gericht gegen den Staat einreichen möchte, um III
sierung meiner Ideen und Meinungen, eine Legalisie‐ sich Recht zu verschaffen. Seitens der Roten Hilfe, die Um zurück zum Fall von linksunten.in‐
rung der Publikationen, in denen ich diese ausdrücke, auch die Klage in der Sache linksunten.indymedia un‐ dymedia zu kommen: Was bedeutet
durch den Staat so ziemlich das letzte ist, was ich wol‐ terstützt, habe ich das bereits wiederholt gelesen. Da‐ es, eine solche Seite in Zukunft auf
len kann.
GRAFFITO DER WOCHE
I
Meine Ideen zielen auf eine Beseitigung des Staates
ab. Das ist eine Ansicht, die der Staat freilich niemals
gutheißen kann. Aber kann er diese Ideen tolerieren?
Vielleicht unter dem Begriff der so hochgelobten Mei‐
nungsfreiheit? Ich behaupte nur dann, wenn ihm diese
Ansicht nicht ernsthaft zur Gefahr werden kann. Im Fall
von linksunten.indymedia scheint zumindest aus Sicht
des Staates die Grenze dessen überschritten worden
zu sein, ab der die dort vermittelten Ideen zur Gefahr
für ihn wurden. Deshalb wurde linksunten.indymedia
verboten und dieses Verbot auch durchgesetzt. Mei‐
nungs- oder Pressefreiheit waren weder in diesem Mo‐
ment noch für irgendeinen Staat jemals zuvor
irgendwelche verbindlichen Werte, die er dabei respek‐
tiert hätte. Meinungs- und Pressefreiheit kann nur da
gelten, wo die im Rahmen dieser „Freiheiten“ geäußer‐
ten Ideen und Positionen dem Staat nicht gefährlich
werden können; in allen anderen Fällen sind dem Staat
diese Versprechungen egal. Vordergründig mag er da
noch irgendeine Rechtfertigung finden, weshalb diese
oder jene Ansicht eben nicht unter Meinungs- oder
Pressefreiheit fällt, aber hintergründig macht sich da si‐
cher keine*r Illusionen: Was den Staat – oder auch die
eigene politische Macht – existenziell gefährdet oder
auch nur gefährden könnte, das wird bekämpft.
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einer legalen Basis betreiben zu wollen? Wenn also die diesem Grund – macht mensch sich ja auch eine gewis‐ Fall wäre -, aber das nur zu tun, um
Klage Erfolg haben sollte, mensch sich dafür feiert, es se Anonymität zunutze, lässt die Staatsmacht wo es eine Legende am Leben zu erhalten,
dem „Staat“ oder dem „Innenministerium“ „gezeigt zu geht im Unklaren darüber, wer hinter irgendetwas die in Zukunft gar nicht mehr in der
haben“, wie geht es dann weiter? Wird dann linksun‐ steht. Nur so kann mensch sich seine Freiheit bewah‐ Lage wäre, das zu sein, wofür sie
ten.indymedia wieder ans Netz gehen und wir machen ren, auch staatsfeindliche Positionen zu äußern. Das ist steht, scheint mir am Ziel vorbei.
alle weiter als wäre nichts gewesen? Nachdem linksun‐ die Grundlage dafür, weitestgehend unzensierte Medi‐
ten.indymedia abgeschaltet wurde, wurde de.indyme‐ en zu schaffen. All das kann linksunten.indymedia in
dia als Ersatz genutzt. Aber mit den Erfahrungen des Zukunft kaum noch sein: Zwar mag die Urheber*innen‐
linksunten.indymedia-Verbots war das etwas, was nicht schaft der Plattform weitestgehend anonym sein, doch
funktionieren konnte: Eine neue zentrale Plattform im wer auch immer linksunten.indymedia nach der Aufhe‐
deutschsprachigen Raum für staatsfeindliche Inhalte? bung eines Verbots wieder ins Leben ruft, die*der tut
Wie lange würde es dauern, bis dann auch die verboten das in dem Wissen, dass diese Plattform zukünftig un‐
wird? Ich denke die Erfahrung werden wir noch ma‐ ter genauester Beobachtung sein wird. Dabei scheint
chen. Trotzdem sieht mensch bereits jetzt die Proble‐ es mir weniger darum zu gehen, das, wofür linksun‐
me. Innerhalb des de.indymedia-Kollektivs gibt es ten.indymedia stand, zu bieten, sondern mehr um
Stimmen, die es als unsolidarisch empfinden, wenn auf einen Profilierungsgedanke der Art „Seht her, ich habe
der Seite Bekenntnisse zu „Straftaten“ veröffentlicht mich gegen den Staat durchgesetzt“. Nun, in diesem
werden. Die Begründung: Mensch hat Angst davor, Fall wäre die Profilierung „Seht her, ich habe den Staat
dass mensch ebenfalls Opfer von Repression wird. Und verklagt und gewonnen“ sicher ehrlicher, denn linksun‐
ganz ehrlich: Gewissermaßen teile ich diese Meinung. ten.indymedia wurde ja nicht einfach – etwa mithilfe
Ich empfinde es zwar nicht als unsolidarisch, die Mög‐ von Möglichkeiten der Anonymisierung – weiter betrie‐
lichkeit, anonym Texte zu veröffentlichen auch entspre‐ ben, sondern es wurde sich zuvor die richterliche Er‐
chend zu nutzen, aber ich kann die Befürchtungen der laubnis für den Betrieb eingeholt, aber es scheint mir
Menschen im de.indymedia-Kollektiv durchaus verste‐ so oder so nicht zweckdienlich zu sein, einem solchen
hen. Es sind die Befürchtungen, die jede*r haben muss, Profilierungsgedanken zu folgen: Sicher kann es empo‐
die*der staatsfeindliche Texte verbreitet – digital, eben‐ wernd sein, dem Staat ein Schnippchen zu schlagen
so wie analog – und ganz besonders diejenigen, die das und sichtbar zu machen, dass es Möglichkeiten gibt,
häufiger tun. Aus diesem Grund – zumindest auch aus sich ihm zu widersetzen – was hier aber gar nicht der
NACHRICHTEN AUS ALLER WELT TERMINE
[HAMBURG] FEUER GEGEN DIE ERWEITERUNG DES Stadt finden und nicht alle können ausreichend über‐
DI., 28.01. VORLESEABEND: UTOPIE &
HAFENS wacht werden. Denn hinter fast jeder neuen Betonkon‐
DYSTOPIE
struktion steckt ein weiteres Angriffsziel.
Nur einen Steinwurf vom Vollhöfner Wald entfernt ha‐
20 Uhr // Anarchistische Bibliothek
ben wir in der Nacht des 17.01. unter vier großen Bau‐ Für uns ist klar: Wenn diese Verhältnisse uns und unse‐ Frevel // Zenettistraße 27 (Hinterhof)
fahrzeugen einer Baustelle von HPA (Hamburg Port re Lebensräume zerstören wollen, muss die Konse‐
Authority) und ReGe Hamburg Brandvorrichtungen quenz sein diese Verhältnisse zu zerstören.
DO., 30.01. OFFENER MITTAGSTISCH
platziert. Eine bessere Anbindung der Lkw an das neue
DER SOLIKÜCHE MÜNCHEN
Containerterminal Altenwerder befindet sich dort im
[TÜBINGEN] BITUMEN FÜR DIE POLIZEI
Bau. Wir halten es für wichtig, ein paar Worte zu dieser 10:15-14:30 Uhr // Ligsalzstraße 8
Aktion zu veröffentlichen, nicht nur, weil die Polizei und In Tübingen gab es in der Nacht auf den 23.01.2019
die Presse schweigen, sondern auch um sie in einen einen hässlichen Anstrich für die lokale FR., 31.01. KONZERT: REPULSIONE /
Kontext zu bringen Bull*innenstation in der Südstadt mit Bitumen. DISASSELN / KUOLEMAN TEATTERI
Diese Baustelle, die wie eine harmlose Straßensanie‐ Die Angreifer*innen richteten sich damit nicht nur 20 Uhr // Freiraum Dachau //
rung des Moorburger Elbdeichs aussieht, ist für uns ein gegen das neue Polizeigesetz für Baden-Württemberg Brunngartenstraße 7, Dachau
verstecktes Symbol für die Zerstörung der Natur und sondern auch gegen die Polizei selbst. Außerdem
weist viele Parallelen zur geplanten Rodung des Voll‐ grüßen sie die Drei von der Parkbank. MI., 05.02. KLEINES ESSEN
höfner Waldes auf. Nicht nur, weil vor einem Jahr hier
19 Uhr // Anarchistische Bibliothek
mehr als hundert Bäume gefällt wurden, die nur durch [LEIPZIG] HÖR MAL WER DA HÄMMERT
Frevel // Zenttistraße 27 (Hinterhof)
Eisenbahnlinie und zwei Straßen vom Vollhöfner Wald
In der Nacht auf den 23. Januar 2020 haben einige
getrennt sind. Auch weil die selben Akteure dafür ver‐
Personen mehrere Scheiben einer Bull*innenwache im
antwortlich sind. Das Team von ReGe Hamburg und
Westen der Stadt (Weißenfelser Straße) eingehämmert.
HPA ist auch verantwortlich für die Erweiterung der ge‐
planten Hafenerweiterung auf den Vollhöfner Weiden „Wir taten dies aus Solidarität mit den Leuten, die seit
und die dafür notwendige Rodung. Genauso wie sie im Silvester in U-haft sitzen. Außerdem wollten wir dem
Laufe ihrer Geschichte die Natur zerstört haben, um Hungerstreik von Néstro durch eine subversive Aktion
die Infrastruktur für die Hamburger Wirtschaft auszu‐ außerhalb der Mauern Aufmerksamkeit verleihen. Nach
bauen. der Blamage der Bullen zu Silvester wird der Staat
versuchen an den Gefangenen ein Exempel zu
ReGe Hamburg wurde gegründet den Flughafen für das
statuieren. Deshalb ist es an uns, die kalten Nächte zu
(Rüstungs)Unternehmen Airbus zu erweitern. Zu die‐
nutzen um ihnen Gehör zu verschaffen.
sem Zweck wurde ein riesiges Ökosystem in Form ei‐
nes Süßwasserwatts trockengelegt und aufgeschüttet. Erfreulicherweise ist Néstro inzwischen draussen, die
Auch dagegen wurde protestiert, so wie heute gegen anderen beiden sitzen aber noch.
die von HPA und ReGe geplante A26 Ost, die wenige
Freiheit für die Gefangenen vom Kreuz,
Meter von der besagten Baustelle entfernt inmitten ei‐
nes Moors gebaut wird. Die Orte, welche für uns die Freiheit für die drei von der Parkbank,
letzten Fleckchen wilder Natur im asphaltierten Moloch
darstellen, sind für die wirtschaftlichen und stadtpoliti‐ Freiheit für alle Gefangenen!
schen Akteure nur billige, noch ungenutzte Flächen, die
Für die Anarchie!“
darauf warten zu Lagerhallen, Fabriken oder Transport‐
wegen zu werden.
Die Hafenwirtschaft wird oft symbolisch für die Identi‐
tät dieser Stadt und als Zeichen des Fortschritts ver‐
wendet. Die Chemiefabriken, das Moorburger
Kohlekraftwerk und die Mülldeponien sind für uns
(nicht nur) Symbole eines Kapitalismus, der die Natur
ÖFFNUNGSZEITEN DER ANARCHIS-
und unser Leben zerstört, um Wachstum zu erzielen.
TISCHEN BIBLIOTHEK FREVEL
Das neue Containerterminal beschleunigt den Waren‐ Dienstag: 17 bis 21 Uhr
fluss durch die vollständige Automatisierung der Ma‐ Samstag: 15 bis 19 Uhr
schinen und ein Testfeld des 5G-Netzwerks. Die Güter,
die hier verladen werden, schädigen wiederum die Na‐ Zenettistraße 27 (Hinterhof)
tur und Menschen an vielen Orten auf der Welt. Unter
Anderem durch die Ausbeutung von Rohstoffen und zuendlumpen.noblogs.org
Kriege.
Wir hoffen, den Fortschritt der Baustelle zumindest für Schickt eure eigenen Beiträge,
kurze Zeit behindert und den Zerstörern der Natur Leser*innenbriefe, Termine und
Schaden zugefügt zu haben. Wir wollen nicht träge zu‐ Entdeckungen an
sehen, wie die Industrie unser Leben ruiniert. Wer ge‐
nauer hinschaut, kann Orte wie diese überall in der [email protected]
V.i.S.d.P.: Klaus Doch, Mühsamstraße 1312, München. E.i.S.
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