Table Of ContentLeopold Scheer
WAS IST STAHL
Eine Stahlkunde
für jedermann
Dreizehnte
erweiterte Auflage
mit 49 Abbildungen
und einer Tafel
1968
Springer-Ver/agBerlin Heide/berg GmbH
Umschlaggestaltung: Paul Eitert, Kaarst über Neuß
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übersetzt oder in irgendeiner Form vervielfältigt werden. Copyright 1937, 1938 and
1955 by Springer-Verlag, BerlinIHeidelberg.
ISBN 978-3-662-22782-4 ISBN 978-3-662-24715-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-24715-0
©bySpringer-VerlagBerlinlIeidelberg1958,1962and1968
UrsprünglicherschienenbeiSpringer-VerlagBerlinlIeidelbergNewYork1968.
Library of Congress Catalog CardNumber: 68-19413
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diesem Buche berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markensdiutz-Cesotzqobunq als
frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften
Tltel-Nr. 0890
Vorwort zur clreizehnten Auflage
Die Beliebtheit, deren sich diese kleine Stahlkunde in den an
Stahl interessierten Kreisen seit ]ahren erfreut, macht nun wieder
eine Neuauflage notwendig. Da ich selbst durch andere Aufgaben
derzeit starker in Anspruch genommen bin, hat es Herr Dr.-Ing.
HANS BERNS vom Stahlwerk Bohler in Dusseldorf iibernommen, das
Buch fur den Neudruck durchzusehen. Hierfiir sage ich ihm auch an
dieser Stelle meinen Dank. Es waren eine Reihe nicht unwesentlicher
Erganzungen erforderlich, die sich durch den Fortschritt in Wissen
schaft und Betrieb ergeben hatten. Vor allem wurde die heute geltende
Ausgabe desEisen-Kohlenstoff-Diagramms iibernommen und auch im
Text beriicksichtigt.Aber auchLeserzuschriften wurden beriicksichtigc,
wenn die Vorschlage in den Rahmen dieser "Einfuhrung" palsren,
wie ichdenn iiberhaupt nach wie vor fur jede Anregung dankbar bin.
Neu aufgenommen wurde als Abschnitt 31 eine Einfiihrung in
das von der Stahlindustrie entwickelteSystem von Kurzbezeichnungen
fur die Stahle einschliefslich der Werkstoffnummern. Diese Erganzung
diirfte vor allem von den Stahlverkaufern und den Einkaufern be
gruBt werden.
Das Buchlein hat auch im Ausland Interesse gefunden. Es wurde
bisher ins Englische, Portugiesische (Brasilien) und Tiirkische iiber
setzt.
Biideridi bei DUsseldorf, im August 1968
Leopold Scheer
Aus dern Vorwort zur ersten Auflage
Neben einem ins Riesenhafte angewachsenen fachwissenschaft
lichen Schrifttum auf dem Gebiete des Stahles sind nur wenige be
lehrende Bucher erschienen, die das Ziel verfolgen, den grolsen Kreis
der an "Stahl und Eisen" interessierten Laien,vor allem auch den
Kreis der Stahlverkaufer und der Einkaufer iiber das Wesen des
Stahles allgemeinverstandlich zu unterrichten. Geschrieben wurden
1·
IV Aus dem VorwortzurerstenAuflagc
auch diese Lehrbiicher von Fachleuten, die gemeiniglich allein filr
berufen befunden werden, auf ihrem Gebiete Aufschlu6 zu geben.
Diese Ansicht ist nicht ganz richtig. Der Fachmann ist zu sehr auf
seinesgleichen eingestellt; oft ist er in seinen technischen Gedanken
gangen so befangen, da6 er sich nicht bewu6t wird, was von den
technischen Dingen noch zum "Allgemeinwissen" gehort und was
schon zu den "Sonderkenntnissen" zu rechnen ist; er setzt bei seinen
nichttechnischen Lesern haufig zu viel voraus. Solche Lehrbiicher
haben meistens auch nicht ihren Zweck erfiillt. Der willige Leser
legt sie oft sehr bald errniidet aus der Hand und gibt dann sein
"Studium" iiberhaupt auf. Ein auch nur oberflachliches Eindringen in
das Wesen des Stahles ist dem Nichtfachmann im allgemeinen versagt
geblieben. Man frage einmal einen langere Jahre im Stahlfach "selb
standig" arbeitenden Verkaufer nach den einfachsten Begriffen, die
ihm bei seiner Arbeit taglich in die Quere kommen, und man wird
sich davon iiberzeugen, daf ihm jede brauchbare Vorstellung fehlt.
Von zehn Stahlverkaufern werden keine zwei auch nur den Unter
schied zwischen Normalgliihen und Weichgliihen angeben konnen,
wahrend der jiingste Autoverkaufer bis ins kleinste iiber die techni
schenEinzelheiten seiner WagenBescheidwei6.
Der Verfasser des vorliegenden Buchesist Kaufmann, also Nicht
fachmann. Er hat sich in langen Jahren 'durch einen Berg von
Fachliteratur durchgearbeitet und kennt aus eigener Erfahrung die
Schwierigkeiten, die sichdem technischnicht Vorgebildeten auf diesem
interessanten Gebiete entgegenstellen. Er bemiiht sichin dieser Schrift,
in leicht verstandlicher Form und in gedrangtem, aber ausreichendem
Ma6e einen Begriff vom Wesen des Stahles zu geben. Die Arbeit
kann und solI nicht mit der eingangs erwahnten fachwissenschaft
lichen Literatur in Wettbewerb treten, sie wendet sich an einen ganz
anderen Leserkreis.
Das Buch ist kein Nachschlagewerk, das in der Schreibtischlade
liegen und zu gelegentlicher Beratung hervorgeholt werden soIl. Es
ist eine "Einfiihrung" und muf Seite fiir Seite gewissenhaft durch
gearbeitet werden. jeder einzelne Abschnitt ist zum Verstandnis der
weiteren Ausfiihrungen notwendig, weshalb auch der "Vorgeschrit
tene" nichts iiberschlagen solI.
DUsseldorf, im Februar 1937
Leopold Scheer
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .
2. Der Kohlenstoff .
3. Kleiner, unbeschwerter Ausflug in die Atomphysik. ..................... 3
4. Das Raumgitter des Eisens :.... 4
5. DieVerteilung desKohlenstoffs im Stahl.............................. 6
6. Das Eisen-Kohlenstoff-Diagramm .................................... 7
7. Die Warmebehandlung(Nutzanwendung desEisen-Kohlenstoff-
Diagramms) 15
A. DasGliihen der Stahle ,..................... 15
a) Weichgliihen (auf kornigen Zementit gliihen) 16
b) Normalgliihen (Normalisieren) 16
c) Spannungsfreigliihen.......................................... 17
B. DasHarten der Stahle .......................................... 17
a) Die Umwandlungshartung 18
Abarten der Umwandlungshartung 21
a) Die Warmbadhartung (Thermalhartung,Stufenhartung) 21
fJ) Die Einsatzhartung,....................................... 22
y) Die ortlichc Oberfladicnhartung 24
b) Die Kalthartung 25
c) Die Ausscheidungshartung (Aushartung) 26
C. DasVergiiten der Stahle ........................................ 27
8. Die Legierungen des Stahles 28
A. Allgemeines ..,............................................... 28
B. Einteilung der Grundstoffe nach ihren Wirkungen 31
a) Grundstoffe, die das Gamma-Gebiet erweitern 31
b) Grundstoffe, die das Gamma-Gebiet verengen 31
C. Einteilung der Stahle nach ihrem Gefiige 31
9. Die unlegierten Stahle. .............. ........................... 33
A. Allgemeine Baustahlc (Massenstahlc) 36
B. Unlegierte Vergiitungs- und Einsarzstahic.......................... 37
a) Die unlegierten Vcrgtirungsstahle 42
b) Die unlegierten Einsarzstahle 43
C. Unlegierte Werkzeugstahle 43
VI Inhaltsverzeichnis
10. Manganstahle .................................................... 48
11. Nickclstahle...................................................... 51
12. Chromstahle 52
13. Chrom-Nidcclsrahlc 55
14. Chrom-Manganstahle.............................................. 56
15. Siliziumstahle .................................................... 57
16. Kobaltstahle 60
17. Wolframstahle.................................................... 60
18. Molybdanstahle 62
19. Vanadinstahle :..................................... 64
20. Aluminium im Stahl 65
21. Kupfer im Stahl.................................................. 66
22. Der Stickstoff .................................................... 66
23. Der Sauerstoff. ................................................... 68
24. Der Schwefel 68
25. Der Phosphor.................................................... 69
26. Andere Grundstoffe im Stahl 69
27. Rost-, saure- und hitzebesrandige Stahle 69
28. Warmfeste und hochwarmfeste Stahle 78
29. Die Schnellarbeitsstahle............................................ 85
30. Schneidmcralle und Schneidkeramik 90
A. Die Stellite 91
B. Die Hartrnetalle 92
C. Die Schneidkeramik............................................ 94
31. Sysrcmatische Benennung der Stahle................................ 94
A. Kurzbezeichnung 9·1
B. Werkstoffnummer.............................................. 96
32. Priifung der Stahle 97
33. Uber die Erzeugung von Eisen und Stahl 105
A. Die Roheisenerzeugung 106
B. DieStahlerzeugung ............................................ 110
C. Die Formgebung 116
34. Schluflwort 117
Namcn- und Sachverzeichnis 120
Bildanhang .......................................................... 127
Tafel (amSchluf desBuches)
1. Einleitung
Als Stahl bezeichnet man heute alle Eisenlegierungen - mit
Ausnahme der nicht schmiedbaren hochkohlenstoffhaltigen Gu~sorten
wie Grauguli, Hartguf und Ternperguf - ohne Riicksichr auf ihre
Eigenschaften. Friiher wurde als wesentliches Merkmal des Stahles
die Hartbarkeit angesehen. Es gibt aber eine ganze Reihe von
Stahlen, die sich nicht harten lassen, die durch das Abschrecken aus
hohen Temperaturenim Gegenteil sogarweicher, zaher werden.
Edelstdble werden vielfach solche Stahle genannt, die au~er mit
Kohlenstoff auch noch mit anderen Grundstoffen, z. B. mit Chrom,
Nickel, Wolfram, Vanadin usw. legiert sind. Diese Begriffsbestim
mung ist jedoch nicht erschopfend und auch anfechtbar, Denn man
wird einen reinen Kohlenstoffstahl, der sorgfaltig erzeugt und auf
dem ganzen Wege der Herstellung - vom Gu~ bis zum Versand
immer wieder gewissenhaft gepriift worden ist, zweifellos auch zu
den Edelstahlen rechnen miissen. Andererseits enthalten manchmal
Massenstahle - auch als unbeabsichtigte Verunreinigungen - ge
wisseMengen von Legierungselementen.
Das Richtige wird man treffen, wenn man die bei den grofsen
Hiittenwerken in grofien Mengen erzeugten billigen Stahle als .Mas
senstahle bezeichnet, die von einem Edelstahlwerk mit Sorgfalt und
unterscharfster Kontrolle hergestellten Stahle dagegen als Edelstahle.
Die billigen Massenstahle werden meistens nach Festigkeit ver
kauft, die Edelstahle dagegen nach dem Verwendungszweck und
untereinerMarkenbezeichnung.
Reines Eisen wird entweder auf elektrischem Wege (Elektrolyse)
oder nach einem Sonderschmelzverfahren erzeugt. Am bekanntesten
ist das Armco-Eisen (Abkiirzung fur American Rolling Mill Com
pany), das einen Reinheitsgrad von etwa 99,8 %besitzt,
2. Der Kohlenstoff
Das wichtigste Legierungselement im Stahl ist der Kohlenstoff
(chemisches Zeichen: C). Die Bedeutung dieses Grundstoffes wird
klar, wenn man erfahrt, da~ die unlegierten Werkzeugstahle in den
gewohnten Hartestufen "weich", "zah", "mittelhart" und "hart"
2 DerKohlensroff
Kohlenstoffgehalte von 0,65 bis 1,50 %haben, daf also diese grolsen
Verschiedenheiten in der Harte innerhalb einer Spanne von nur
etwa 0,8 % Kohlenstofferscheinen.
Nun darf man sich die Sache aber nicht etwa so vorsteIlen, daf
sich der Kohlenstoff als solcher iiber die ganze Eisenmasse gleich
maBig verteilt vorfindet. Es wird iiberraschen, daB sich im Stahl
wenigstens in den meisten der hier zu besprechenden Falle - iiber
haupt kein Kohlenstoff im eigentlichen Sinne, d. h. in elementarer
Form, finder.
Jedermann wird sich von der Schule her erinnern, daB bei einer
chemischen Verbindung zweier oder mehrerer Grundstoffe ein vollig
neuer Stoff mit ganz anderen Eigenschaften entsteht, der mit den
urspriinglichen Grundstoffen aber auch nichts mehr gemein hat. So
ist z. B. Wasserstoff (chemisches Zeichen: H) ein leicht brennbares
Gas, mit dem man wegen seines geringen spezifischen Gewichtes
Luftballone fiillt. Sauerstoff (chemisches Zeichen: 0) ist ein Gas,
ohne das es kein Feuer gibr, ja das Verbrennen ist iiberhaupt nichts
anderes als ein fortlaufendes Entstehen einer chemischen Verbindung
des Sauerstoffes mit dem betreffenden brennbaren Stoff. Vereinigt
sich nun Sauerstoff mit Wasserstoff zu einer solchen chemischen Ver
bindung, dann entsteht - Wasser (H 0). Mit Wasser kann man
2
natiirlich keine Luftballone mehr fiillen, man kann sie aber damit
loschen, wenn sie Feuer gefangen haben, denn der neue Stoff ist
ja selbst unbrennbar. Dieses einfache Beispiel soIl nur in Erinnerung
bringen, wie grundlegend die Eigenschaften zweier Elemente ver
anderr werden, wenn sie sich zu einer chemischen Verbindung, also
zu einem neuen (zusammengesetzten) Stoff vereinigen.
Genauso verhalt es sich mit dem Kohlenstoff (C) im Stahl. Auch
er ist nicht einfach mit dem Eisen (Fe) gemischt, sondern diese beiden
Elemente Kohlenstoff und Eisen sind eine chemische Verbindung
eingegangen und haben einen ganz neuen Stoff mit ganz anderen
Eigenschaften gebildet, namlich das Eisenkarbid, auch Zementit ge
nannt, das die chemische Formel Fe3C hat. Diese Formel besagt,
daB an der Verbindung immer im gleichen Verhaltnis 3 Teile Eisen
(Fe) und 1Teil Kohlenstoff (C) beteiligtsind.
In den meisten der fur uns wichtigen FaIle ist es nun nicht der
freie Kohlenstoff, sondern das Eisenkarbid, das im Stahl verteilt ist.
Dennoch wird aber bei der Angabe der Zusammensetzung eines
Kleiner,unbeschwerterAusflug in dieAtomphysik 3
Stahles nicht del' Gehalt an diesem neuen Stoff, dem Eisenkarbid,
angefiihrt, sondern del'entsprechende Gehalt an Kohlenstoff.
Wahrend das reine Eisen weich und bildsam - fast wie Kupfer
- ist, zeichnet sich das Eisenkarbid durch grolle Harte und Sprodig
keit aus. Es ist daher zu erwarten und trifft auch zu, daB ein Stahl
urn so harter ist, je mehr von diesem harten Karbid in die Masse
des reinen Eisens verteiltist.
Die Verteilung des vorhandenen Eisenkarbids ist nicht regellos
und zufallig, sondern unterliegt strenger Gesetzmatligkeir, wie wir
noch sehen werden.
3. Kleiner, unbeschwerter Ausflug in die Atomphysik
Wollen wir die sparer zu besprechenden Vorgange und Verande
rungen im Stahl richtig verstehen, dann mussen wir uns zuerst einmal
mit del'Fragebeschaftigen, wie eigentlich die Materie aufgebautist.
Wie jeder weill, sind die Steffe aus Atomen zusammengesetzt.
Die Natur baut abel' nach anderen Grundsatzen und in anderen
Formen als unsere biederen Maurermeister.
Del' Unterschied beginnt schon bei del' Gestalt del' Bausteine:
Die Atome sind nicht ziegel- oder quaderformig, sondern haben nach
unserer VorstellungKugelgestalt.
Ziegelsteine lassen sich ohne Zwischenraurne schon aneinander
schichten, viele Abwechslungsmoglichkeiten in del' Anordnung sind
dabei jedoch nicht gegeben. Es wird einfach Ziegel an Ziegel gereiht
und Stein aufStein gesetzt. Das Ergebnis ist del'starre Mauerkorper.
Kugelige Bausteine, wie wir uns die Atome vorstellen, konnen
dagegen auch bei ganz regelrnafsiger Anordnung die verschiedensten
Stellungen zueinander einnehmen. Ein Beispiel ist in Abb. 1':. (s.
Bildanhang) dargestellt. Die Natur rnacht von diesen Moglichkeiten
beim Bauen mit den Atomkugeln ausgiebig Gebrauch: jeder Stoff
hat einen anderen Atomaufbau. Mit Hilfe del' Rontgenstrahlen kann
man ihn ohne Schwierigkeiten studieren und die Lage del' einzelnen
Atome genau bestimmen. Will man die Atomanordnung eines Stoffes
graphisch darstellen, dann zeichnet man die Atomkugeln am besten
nicht voll aus: es wiirde die klare Obersicht beeintrachtigt - hinter
einanderliegende Kugeln waren teilweise oder ganz verdeckt. Besser
':. Von Herrn Prof. \'V"EVER, Eisenforschungsinstitut, DUsseldorf, freundlichst zur
VerfUgung gcstellt.