Table Of ContentPromotionskolleg „Kinder und Kindheiten im Spannungsfeld
gesellschaftlicher Modernisierung“ (Hrsg.)
Kinderwelten und institutionelle Arrangements
Promotionskolleg „Kinder und Kindheiten
im Spannungsfeld gesellschaftlicher
Modernisierung“ (Hrsg.)
Kinderwelten
und institutionelle
Arrangements
Modernisierung von Kindheit
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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1.Auflage Mai 2006
Alle Rechte vorbehalten
©VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2006
Lektorat:Stefanie Laux
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung:MercedesDruck,Berlin
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN-10 3-531-15065-0
ISBN-13 978-3-531-15065-9
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Thomas Swiderek/Doris Bühler-Niederberger/Friederike Heinzel/
Heinz Sünker/Werner Thole
Welten von Kindern – Alltag in institutionellen Räumen............................7
Die Beiträge
Sven Steinacker
Die Anstalt als umkämpfter Raum.............................................................17
Michael Tunç
Vaterschaft in der Migrationsgesellschaft im Wandel................................37
Dorothea Witt
Die »Natur des Kindes« – Beobachtungen am Kindergartenzaun..............59
J. Carlos Losada Santana
Von der Parallelgesellschaft zur Gegenkultur............................................75
Katja Lieber
Putzen als Wettkampf – Rituale als gelebtes Leben...................................89
Matthias Koch
Spielen, Lernen, Identität..........................................................................107
Cristiane Sander
Partizipation und Protagonismus von Jugendlichen in Brasilien..............123
Gustav Mewes
Irritationen – wenn ein Fremder fragt, was »fremd« ist...........................135
Nachwort
Werner Fiedler
Zur Qualität einer strukturierten DoktorandInnenförderung....................155
Die AutorInnen.....................................................................................159
Einleitung
Thomas Swiderek/Doris Bühler-Niederberger/
Friederike Heinzel/Heinz Sünker/Werner Thole
Welten von Kindern – Alltag in
institutionellen Räumen
Am Beginn des vorherigen Jahrhunderts prognostizierte die schwedische
Reformpädagogin Ellen Key (1978 [1900]) die bevorstehenden Dekaden
zum »Jahrhundert des Kindes« (vgl. Honig 1993). Gut 100 Jahre später
stellt sich die Frage, was für die Kinder in dem zurückliegenden Jahrhun-
dert – nicht nur angesichts der antizivilisatorischen Entwicklungen und Ka-
tastrophen – herausgekommen ist. Angesichts der heutigen realen Lebens-
bedingungen vieler Kinder, können die Veränderungen in den zurücklie-
genden Jahrzehnten – insbesondere für Kinder auf der nördlichen Welthe-
misphäre – zwar als Fortschritt gesehen werden, jedoch gilt dies noch lange
nicht für die Gesamtheit der Kinder dieser Welt – wenn man die Fortexis-
tenz sozialer Ungleichheitslagen mit berücksichtigt, vielleicht nicht einmal
für die Mehrheit der Kinder in den westlich-kapitalistischen Gesellschaften.
Wenn demnach heute von den Bedingungen kindlichen Lebens und Er-
lebens gesprochen wird, dann können die materiellen Bedingungen nicht
isoliert als analytische Beurteilungsschablone herangezogen werden. Die
Lebensweisen von Kindern werden auch und wesentlich von den psychi-
schen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten ihrer Lebenswelten geformt
und durch die je spezifischen Gesellschafts- und Generationenbeziehungen
wesentlich mitgestaltet. In der Betrachtung der Gesamtheit an Bedingungen
kindlichen Lebens und Erlebens ist eine positive, den Fortschrittsbegriff re-
klamierende Perspektive somit deutlich zu relativieren. Auch wenn es un-
sinnig ist der These, »heutigen Kindern geht es so gut wie nie zuvor«, zu
entgegnen, dass es »den Kindern heute, so schlecht geht wie nie zuvor«, so
bleibt doch die entscheidende Aufgabe sich darüber zu verständigen, wie
denn die unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensweisen von Kindern
gegenwärtig einzuschätzen sind. Zudem bleibt zu fragen, welche Aufgaben
8 Thomas Swiderek u. a.
sich daraus für die theoriegeleitete, empirische Kindheitsforschung in Be-
zug auf schulische und außerschulische Handlungsfelder stellen.
Diese auf den ersten Blick simple Frage, erweist sich schon bei etwas
näherer Betrachtung als äußerst komplex. So hat sich entgegen den natura-
listischen Auffassungen von Kindheit mittlerweile die Erkenntnis durchge-
setzt, dass Kindheit als »soziale Figuration« anzusehen ist: Kindheit konsti-
tuiert sich stets im Kontext der jeweils gegebenen und spezifischen gesell-
schaftlichen Zusammenhänge, der historisch-konkreten Interessen sowie
Umgangs- und Zugriffsweisen auf eine bestimmte Altersphase, welche sich
ferner durch eine spezifische Konstellation im Generationenverhältnis aus-
zeichnen. Folglich stellt sich in Bezug auf alle – also nicht nur kindlichen –
Lebenslagen und Lebensweisen in besonderer Schärfe das Problem des
Verhältnisses von Abhängigkeit und Autonomie sowie Entwicklung und
Bildung. Aber auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse haben, so kann
begründet vermutet werden, in vielerlei Hinsicht Konsequenzen für die
Konstitution von Kindheit und Kinderleben, sicherlich und kaum zu über-
sehen hinsichtlich der Gestaltung der realen Lebensbedingungen, deren Be-
arbeitung durch die nachwachsenden Generationen, aber auch auf die je-
weils entwickelten unterschiedlichen Perspektiven auf Kindheit (vgl. Sün-
ker 1993; Timmermann/Melzer 1993).
Aus analytischer Sicht ist es gegenwärtig am einfachsten, jene Positio-
nen zu kritisieren, die die Fragen von Kindheit bevölkerungspolitisch und
rententechnisch verkürzen; am schwierigsten ist es, im Rahmen einer sozi-
alwissenschaftlich-bildungstheoretisch ausgerichteten Orientierung, Kind-
heit als Forschungsfeld zu operationalisieren. Siegfried Bernfeld (1969,
S. 51) schlägt hierzu Folgendes vor: »So mannigfaltig menschliche Gesell-
schaften strukturiert sein mögen, das Kind hat von Geburt an eine Stelle in
ihnen. Es muss eine bestimmte Menge Arbeit für es von der Gesellschaft
geleistet werden, sie hat irgendwelche Einrichtungen, die nur wegen der
Entwicklungstatsache bestehen, gewisse Einstellungen, Verhaltungen, An-
schauungen über sie. Die Kindheit ist irgendwie im Aufbau der Gesell-
schaft berücksichtigt. Die Gesellschaft hat irgendwie auf die Entwicklungs-
tatsache reagiert. Ich schlage vor, diese Reaktionen in ihrer Gänze Erzie-
hung zu nennen«). Seine Ortsbestimmung hat auch nach über 35 Jahren
kaum an Aktualität verloren, zumindest scheint sie mit neueren Erkenntnis-
sen synchronisierbar. Inzwischen gibt es jedoch eine Präzisierung dieser
Position, wenn empirisch orientiert Bedingungsfaktoren und Bestimmungs-
größen kindlichen Lebens und Erlebens rekonstruiert werden. Analysen der
Organisationsformen und der Gestaltung von Kinderleben, in denen Kinder
endlich als Akteure wahrgenommen werden, fragen – differenziert nach
Klasse, Kultur, Gender und Alter – nach Orten für Kinder und den Konse-
quenzen für Entwicklungsdynamiken und Erfahrungsmöglichkeiten respek-
tive deren Restriktionen. Gerade weil diese Organisierung und Vernetzung
Welten von Kindern – Alltag in institutionellen Räumen 9
keine eindimensionale Verfassung hat, ist immer wieder nach den konkre-
ten Dimensionierungen kindlichen Lebens und Erlebens zu fragen – auch
um die Polung von Zugriff und Emanzipation als je besondere zu fassen.
Lange Zeit standen insbesondere Jugendliche im Zentrum pädagogi-
scher Analysen und darüber entfalteter Handlungsperspektiven. Gegenwär-
tig wird den Themen »Kindheit« und »Alltagswirklichkeit von Kindern und
Kinderleben« – in unterschiedlichen Gestaltungen – deutlich mehr pädago-
gische, politische Beachtung und wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil.
Während die Kindheit bis vor kurzem, aus der Sicht der Entwicklungs-
psychologie und Sozialisationsforschung, vorwiegend als Stadium vor der
Jugendphase beziehungsweise dem angestrebten Erwachsensein dargestellt
und somit als nicht eigenständige, defizitäre Lebensphase definiert wurde,
werden die Eigenständigkeit von Kindern, ihre Rechte und Selbstbestimmt-
heit im Spannungsverhältnis von Autonomie und Abhängigkeit gegenwär-
tig erkannt, vermehrt eingeklagt sowie festgeschrieben (vgl. Bühler-
Niederberger/Sünker 2002). Die sich darüber artikulierende, kritische Per-
spektive sieht Kinder, in familialen, schulischen und außerschulischen So-
zialisationsfeldern, nunmehr als eigenständig handelnde Subjekte (vgl.
Heinze 2005; Hornstein/Thole 2005). Pädagogisches Handeln ist ersucht
die Rechtsstellung von Kindern zu verbessern, die Einflussnahme und Be-
teiligung von Kindern im öffentlichen Leben und in kinder- und jugendhil-
fepolitischen Angelegenheiten zu stärken, ihre bisherige Position als
»Klientel« der Pädagogik zu hinterfragen und zu verändern. Diese Sicht-
weise von Kindheit beruht auf einer entsprechenden pädagogisch-politisch-
en Sichtweise, die sich mit den Stichworten »Bildung – Gesellschaft – Sub-
jektwerdung« kennzeichnen lässt. Sowohl gesellschaftstheoretisch als auch
gesellschaftspolitisch basiert diese Haltung auf einer emanzipatorischen
Perspektive, die dafür plädiert, die Voraussetzungen zu einem selbstbe-
stimmten und mündigen Leben von Kindern zu schaffen und diese Orientie-
rung auch in die entsprechen pädagogischen Überlegungen zu integrieren
(vgl. Thole/Witt 2006).
Die Artikel dieses Sammelbandes sind Beiträge der TeilnehmerInnen
am Promotionskolleg »Kinder und Kindheiten im Spannungsfeld gesell-
schaftlicher Modernisierungen« der Universitäten Wuppertal und Kassel.
Sie stehen sozusagen exemplarisch für die sich verändernde Kindheitsfor-
schung – auch hinsichtlich ihrer thematischen Breite und ihres methodolo-
gischen Zugangs. Die in diesem Band publizierten Beiträge entstanden im
Kontext der jeweiligen Dissertationsprojekte und dokumentieren daraus
entkoppelte Fragestellungen.
Sven Steinacker fragt, aufgezeigt am Beispiel der Fürsorgeerziehung
(FE) in der preußischen Rheinprovinz, in seinem Text nach Motiven und
Formen des Konfliktverhaltens jugendlicher Anstaltsinsassen in der Wei-
marer Republik. Ausgehend von vorliegenden Arbeiten (vgl. Peukert 1986;
10 Thomas Swiderek u. a.
Ramsauer 2000) stehen die Betroffenen beziehungsweise ihr Agieren als
Klienten fürsorgerischer Institutionen im Zentrum seiner Überlegungen. Als
analytischer Fluchtpunkt dient ihm hierbei das Paradigma der neueren
Kindheitssoziologie, welches in Abgrenzung zu einem naturalistischen, ent-
wicklungsbestimmten Kindheitsbegriff postuliert, dass Kinder nicht nur als
passive Objekte von sozialen Strukturen und Prozessen zu betrachten sind,
sondern als eigenständige soziale Akteure, die ihre unmittelbaren, in die
generationelle Ordnung der Gesellschaft eingelassenen Lebensbedingungen
aktiv, konstruktiv und kompetent gestalten.
Gegenstand der Arbeit von Michael Tunc ist die Frage nach dem Vater-
Kind-Verhältnis als Faktor und Ressource kindlicher Entwicklung sowie
seiner Wirkung auf subjektive Vaterschaftskonzepte. Im Mittelpunkt stehen
die Gruppe der türkischen Väter und deren Vaterschaftsentwürfe. Gefragt
wird, inwiefern sich die in subjektiven Vaterschaftskonzepten und Vater-
Kind-Beziehungen enthaltenen Konstrukte von Kindern und Kindheit als
Gradmesser für gelungene Modernisierungsprozesse in Familien verwenden
lassen. Wozu aber die Auseinandersetzung über Väter türkischer Herkunft
im Kontext der Kindheitsforschung? Welche Schlussfolgerungen lassen
sich – aus der Perspektive von Kindern – für das Geschlechter- und Genera-
tionenverhältnis türkischer Immigrantenfamilien, beispielsweise im Sinne
des Übergangs »vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt« (Bois-Raymond
2001), ziehen?
Im Beitrag von Dorothea Witt werden ethnographische Beobachtungen
zum Zaun eines »Kindergartens aus Eigeninitiative« analysiert. Die zitier-
ten Protokollausschnitte wurden im Rahmen ihres Dissertationsprojekts
während einer viermonatigen Phase der teilnehmenden Beobachtung for-
muliert und nach den Verfahren der »Grounded Theory« kodiert. Hinter-
grund dieser Betrachtungen ist die Ermittlung von bestehenden »Kindheits-
bildern in den Wissensressourcen von pädagogischen MitarbeiterInnen«;
das Untersuchungsfeld sind Kindergärten unterschiedlicher Träger. Der
»Zaun eines Kindergartens als pädagogisch absichtsvoll gestalteter Raum«
dient Frau Witt als Folie, die unterschiedlichen Funktionen des Zauns und
die dahinter verborgenen Kindheitsbilder – das des »schutzbedürftigen ver-
sus des wahrhaftigen Kindes« – der pädagogischen MitarbeiterInnen aufzu-
schlüsseln und kindheitstheoretisch zu verorten.
J. Carlos Losada Santanas Beitrag »Von der Parallelgesellschaft zur
Gegenkultur« thematisiert, über die Aktualität des Gegenstandes hinaus,
das Verhältnis und die problematische Kategorisierungen von Deutschen
und MigrantInnen im Besonderen von »Kindern mit Migrationshin-
tergrund« – Kinder der zweiten und dritten Generation ehemaliger Arbeits-
migrantInnen. Er kritisiert die definitorischen Stigmatisierungen, welche in
Deutschland geborene und sozialisierte Kinder und Jugendliche, noch im-
mer und über die Semantik hinaus, in erster Linie durch ihre ethnische Zu-
Description:Kindheit und Jugend ohne Rückgriff auf ein quasi ritualisiertes soziales Korsett und normierte Eindeutigkeiten zu gestalten, ist und bleibt riskant. Auch weil jungen Menschen heute schon früh das Risiko obliegt, den Weg durch die Phasen des Aufwachsens und Entscheidungen für diese oder jene Aktiv