Table Of ContentSammy Gronemann: Kritische Gesamtausgabe
Gesammelte Dramen
Conditio Judaica
Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen
Literatur- und Kulturgeschichte
Herausgegeben von
Hans Otto Horch
In Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber
und Jakob Hessing
Band 92/1
Sammy Gronemann:
Kritische Gesamtausgabe
Gesammelte Dramen
Herausgegeben von Jan Kühne
Wissenschaftliche Beratung: Hanni Mittelmann,
Joachim Schlör
In Zusammenarbeit mit Jakob Hessing
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT
ISBN 978-3-11-051638-8
e-ISBN (PDF) 978-3-11-051867-2
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-051640-1
ISSN 0941-5866
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data
Names: Gronemann, Samuel, 1875-1952, author | Kühne, Jan, editor
Title: Kritische Gesamtausgabe / Sammy Gronemann ; herausgegeben von Jan Kühne.
Description: Berlin ; Boston : Walter de Gruyter GmbH, [2018]- | Series: Conditio Judaica,
ISSN 0941-5866 ; Band 92 | Includes bibliographical references and indexes. Contents: Band 1.
Gesammelte Dramen / wissenschaftliche Beratung, Hanni Mittelmann, Joachim Schlör
in Zusammenarbeit mit Jakob Hessing --
Identifiers: LCCN 2018007206 | ISBN 9783110516388 (Band 1 : hardcover) |
ISBN 9783110518672 (Band 1 : PDF) | ISBN 9783110516401 (Band 1 : EPUB)
Classification: LCC PT2613 .R6 2018 | DDC 832/.912--dc23 LC record available at
https://lccn.loc.gov/2018007206
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de
abrufbar.
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
www.degruyter.com
In memoriam Manfred Winkler,
dem modernen Opti-Pessimisten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort IX
Einleitung XIII
Editorische Hinweise XXV
Danksagungen XXVI
Drama
Hamans Flucht 3
Paragraph 59 25
Jakob und Christian 55
Übersetzungen der Mattateh-Einakter 103
Jomkippur vor Gericht 104
Die Reise nach Ägypten 116
Uhrraub 129
Der Herzensbrecher 136
Der Weise und der Narr 145
Der Prozess um des Esels Schatten 195
Heinrich Heine und sein Onkel 261
Der gordische Knoten 341
Die Koenigin von Saba 401
Anhang
Kommentare zu den Dramen 467
Zu „Hamans Flucht“ 467
Zu „Paragraph 59“ 468
Zu „Jakob und Christian“ 472
Kommentar zu den Mattateh-Einaktern 477
Zu „Jomkippur vor Gericht“ 478
Zu „Die Reise nach Ägypten“ 479
Zu „Uhrraub“ und „Der Herzensbrecher“ 480
Zu „Der Weise und der Narr“ 482
Zu „Der Prozess um des Esels Schatten“ 486
Zu „Heinrich Heine und sein Onkel“ 489
Zu „Der Gordische Knoten“ 493
Zu „Die Königin von Saba“ 495
VIII Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis 503
Verzeichnis der Archive 503
Primärquellen 503
Sekundärquellen 506
Personen- und Werkregister 511
Sachregister 517
Vorwort
Im Mai 1945 veröffentlicht Sammy Gronemann in der Tel Aviver Theaterzeitschrift
Bamah, die ihn zu seinem 70. Geburtstag würdigt, den Aufsatz Witz und Humor
des Juden. „Der Witz“, so schreibt er, „ist eine Waffe“; der Humor dagegen „ruft
ein gewisses Lächeln hervor. Er hat einen befreienden Effekt, er tröstet und löst
Spannungen.“ Der Aufsatz erscheint in einem historischen Augenblick: Hitler ist
besiegt, und zwischen den Zeilen glaubt man auch Erleichterung über das Ende
der Schreckensherrschaft zu spüren, der so viele Juden zum Opfer gefallen sind.
Die Leser dieses Bandes, der Gronemanns Dramen zum ersten Mal zugänglich
macht und seine kritische Werkausgabe einleitet, werden jedoch bald bemerken,
dass Humor für ihn eine existenzielle, tiefer gegründete Kategorie ist.
Gronemann hat den Witz, den er im Roman Tohuwabohu oder in seinen Erin-
nerungen sehr wohl einzusetzen weiß, niemals als Waffe verwendet. So tut es der
von ihm verehrte Heinrich Heine; oder sein Berliner Zeitgenosse in der Weima-
rer Republik, Kurt Tucholsky; oder Maxim Biller, der lange nach ihm bereits im
Schatten von Auschwitz schreibt. Sie alle – wie zahllose andere deutsch-jüdi-
sche Autoren der letzten beiden Jahrhunderte – haben eine innere Zerrissenheit
gemein, und die aggressive Spitze ihres Witzes dient ihnen als Waffe bei einem
Angriff, der zugleich ihre beste Verteidigung ist.
Der witzige Dramatiker und Erzähler Sammy Gronemann aber kennt die Zer-
rissenheit nicht, die das deutsche Judentum und seine Literatur bezeichnet. Der
Witz ist für ihn keine Waffe, denn er greift nicht an, und er verteidigt sich nicht.
Gronemann ist ein Humorist – er lächelt.
Seine Lebensdaten machen das keineswegs selbstverständlich. 1875 kam er im
eben gegründeten Bismarckreich zur Welt, 1952 starb er im eben gegründeten
Israel: Gronemann gehört zur letzten, zutiefst gefährdeten Generation des deut-
schen Judentums, und ein großer Teil der hier versammelten Dramen entstand
erst nach 1936, als er schon in Palästina lebte. Sie werden unter dem landläufi-
gen Begriff der Exilliteratur geführt, doch Gronemann hätte diese Bezeichnung
abgelehnt – für ihn waren Palästina und später der Staat Israel seine eigentliche
Heimat, in die er zurückgekehrt war.
Wie kein anderer deutsch-jüdischer Autor hat Sammy Gronemann sein Juden-
tum gelebt, und wie kein anderer bezieht er sich in seinem literarischen Werk
auf jüdische Quellen. Viele Autobiographien geben der Stunde der Geburt eine
symbolische Bedeutung, und auch in Gronemanns Erinnerungen ist es so. „Ich
beging“, so lesen wir, „das erste Purimfest meines Lebens in Strasburg in West-
preußen, indem ich an diesem Tage im Jahre 1875 zur Welt kam, dort, wo mein
Vater seine erste Rabbinerstelle bekleidete.“
https://doi.org/10.1515/9783110518672-201
X Vorwort
Der Satz lässt sich in mehrfacher Hinsicht als Schlüssel zu seinem Leben und
Werk lesen. In der deutschen Welt, in der er aufwuchs, werden Geburtstage nach
dem gregorianischen Kalender bestimmt, Gronemann aber beruft sich auf den
jüdischen Kalender, der weniger das Jahr bezeichnet als das jeweils anstehende
Fest: Eine zyklische Zeit, die ständig um ihren Mittelpunkt kreist, den sie niemals
verloren hat.
Purim erinnert an die Errettung der Juden im alten Perserreich. Haman,
höchster Beamter des Königs Ahasveros, wollte sie umbringen, Königin Esther
aber konnte es abwenden, und das wird alljährlich als Freudenfeier zelebriert,
als eine Erlösung, die keines Auszugs bedarf wie in Ägypten, sondern schon in
der Diaspora stattfindet. Aus diesem Grund ist Purim ein Kostümfest: Unter einem
fremden Herrscher wie dem Perserkönig mussten die Juden sich immer verstellen,
immer in Verkleidungen auftreten, und in vielen Komödien Gronemanns, die im
Zeichen des Maskenfestes entstanden sind, finden sich daher karnevalesque Ele-
mente. Diese Herkunft aus der Purimtradition ist schon dem Titel seines frühsten
Stückes eingeschrieben, das den Band eröffnet: Hamans Flucht ist eine komische
Umkehrung der jüdischen Leidensgeschichte, in der nicht der Jude, sondern der
Bösewicht seine historischen Kostüme wechselt, bis ihn sein Schicksal ereilt.
Bereits am Anfang seines dramatischen Schaffens wird hier die Quelle sicht-
bar, aus der Gronemann seinen versöhnlichen Humor schöpft. Er ist der Sohn
eines Rabbiners, ein gläubiger Jude, der sich in einer Heilsgeschichte aufgehoben
weiß und in dieser Gewissheit auch seine Figuren gestaltet. Viele seiner Dramen
sind Verwechslungskomödien, und noch im ominösen Jahr 1937 kann er in Jakob
und Christian die gefährlichste aller Verwechslungen wagen. Ein deutscher und
ein jüdischer Säugling werden an derselben Brust gestillt und dabei auf unklare
Weise vertauscht. Die Frage, wer von beiden der Deutsche sei und wer der Jude,
bedarf indessen keiner Antwort, denn in Wahrheit – Sub specie aeterni – sind die
Milchbrüder gar nicht verfeindet.
Gronemanns existenzielle Geborgenheit hat aber noch einen zweiten Grund,
und auch er ist unter den historischen Umständen nicht selbstverständlich. Sein
Vater war einer der wenigen deutschen Rabbiner, die den Zionismus nicht ablehn-
ten, als er um die Jahrhundertwende in Erscheinung trat, und schon früh schloss
sich der Sohn der Bewegung Theodor Herzls an. Das hat auch die Struktur seiner
später geschriebenen Erinnerungen bestimmt. Anders als es sonst in Autobiogra-
phien üblich ist, steht der oben zitierte Satz über Gronemanns Geburt nicht an
ihrem Anfang, sondern leitet ihr drittes Kapitel ein. Die ersten beiden Kapitel sind
der zionistischen Idee und ihrem tiefen Einfluss auf seine Weltanschauung gewid-
met, denn er wurde zweimal geboren: einmal im Zeichen von Purim, und einmal
im Zeichen des Zionismus.