Table Of ContentHANDBUCH
DER ALTERTUMSWISSENSCHAFT
BEGRÜNDET VON IWAN VON MÜLLER
ERWEITERT VON WALTER OTTO
FORTGEFÜHRT VON HERMANN BENGTSON
ZEHNTE ABTEILUNG, DRITTER TEIL
DRITTER BAND, ZWEITER ABSCHNITT
RECHTSGESCHICHTE
DES ALTERTUMS
IM RAHMEN DES
HANDBUCHS DER ALTERTUMSWISSENSCHAFT
DRITTER TEIL, DRITTER BAl\'D,
ZWEITER ABSCHNITT
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
MONCHEN MCMLIX
DAS
••
ROMISCHE PRIVATRECHT
ZWEITER ABSCHNITT
DIE NACHKLASSISCHEN ENTWICKLUNGEN
VON
MAX KASER
0. PROFESSOR
AN DER UNIVERSITÄT HAMBURG
C. H. BECK'SCH E VERLAGSBUCHHANDLUNG
MONCHEN MCMLIX
Copyright t 959 bT C. H. Beck'scbe Verlagsbuchhandlung (Oscar Deck) JilQncbcn
Prlnted ln Germanr
Druck der C. H. Beck'schen Buchdruckerei NGrdllngen
ERNSTLEVY
in dankbarer Verehrung
VORWORT
Mit diesem zweiten Teilband, der den „Dritten Teil: Die nachklassischen
Entwicklungen" enthält, kann ich die Darstellung des römischen Privat•
rechts nunmehr abschließen. Ich hoffe, damit zugleich endgültig bewiesen
zu haben, daß es zweckmäßig und fruchtbar war, diesen Stoff einmal in
entwicklungsgeschichtlicher Sicht zu betrachten und ihn dabei in die hier
gewählten Perioden zu gliedern. Daß dieser Aufbau keine Ausschließlichkeit
beansprucht, habe ich schon seinerzeit hervorgehoben. Vor allem für die
Behandlung im Rechtsunterricht bin auch ich davon überzeugt, daß eine
systematische Gliederung vorzuziehen ist. Dem Historiker und namentlich
dem Rechtshistoriker aber können die umwälzenden Veränderungen, denen
das römische Recht in den spätantiken Jahrhunderten unterworfen war,
wie mir scheint, am eindrucksvollsten damit nahegebracht werden, daß man
sie in ihren Erscheinungen und Hintergründen vom klassischen Recht ge
sondert darstellt.
Daß die Aufgabe, vor die ich mich bei diesem zweiten Teilband gestellt
sah, ungleich schwieriger war als beim ersten, wird jedem Kundigen ein
leuchten. Von den bisherigen Gesamtdarstellungen hat, was das Recht der
nachklassischen Periode anlangt, noch keine das volle Gewicht auf die
historische Fragestellung gelegt. Ja, die richtige Würdigung der mannig
fachen Kräfte, die diese nachklassischen Entwicklungen beherrschen, ist
überhaupt erst in der jüngsten Zeit in Fluß geraten, so daß man sich fragen
darf, ob die Zeit für den Entwurf eines Gesamtbildes schon reif ist.Immerhin
hoffe ich zeigen zu können, daß die wesentlichen Züge des Geschichtsbildes
bereits hinlänglich geklärt sind, um den Versuch einer solchen Gesamt
darstellung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
Es ist das überragende Verdienst Ernst Levys, in den letzten drei
Jahrzehnten die Eigenart des nachklassischen Vulgarrechts entdeckt zu
haben; zunächst des weströmischen und neuerdings auch des oströmischen.
Erst seit seinen bahnbrechenden Forschungen sehen wir deutlich, daß vom
klassischen Recht zur Synthese im Corpus iuris Ju stinians keine geradlinige
Entwicklung geführt hat, sondern daß das römische Recht nach dem Ende
der Klassik in der westlichen wie in der östlichen Reichshälfte einen tiefen
Niederbruch erlitten hat. Im Westen hat dieser Absturz das endgültige
Schicksal des römischen Rechts bestimmt; in den Schulen des Ostens da
gegen und zum· Teil auch in der Kompilation Ju stinians ist ihm eine klas
sizistische Umkehr gefolgt.
Vom weströmischen Vulgarrecht hat Levy das Sachenrecht und das
Obligationenrecht - mit Einschluß wesentlicher Stücke aus den allgemeinen
Lehren des Privatrechts - in seinen beiden letzten umfassenden Werken auf
mustergültige Weise dargestellt. Seinen Ergebnissen ebenso wie den metho
dischen Richtlinien, die er hier und in anderen Schriften bietet, bin ich nach
genauen Überlegungen weithin gefolgt. Von diesen Erfahrungen geleitet,
Vill Vorwort
hoffe ich, eine brauchbare Übersicht über die von der Vulgarisierung beein
ßußten Entwicklungen auch für die Rechtsgebiete vorlegen zu können, die
Levy bisher nicht behandelt hat. Dabei ist für das Personen- und Familien
recht allerdings zu bedenken, daß hier die vulgarisierende Abwandlung des
klassischen Rechts vielfach hinter den Positivismus der Kaisergesetzgebung
zurücktritt. Diese Gesetzgebung zeigt gewiß allenthalben die Züge des vul
garistischen Denkstils; ihre christlichen oder wohlfa hrtsstaatlichen Motive
haben aber häufig zu völliger Loslösung von den überkommenen klassischen
Einrichtungen und Gedanken geführt. Beim Erbrecht ist demgegenüber die
Anlehnung an die klassische Tradition und ihre vulgaristische Umformung
deutlicher erkennbar. Für dieses Gebiet hat mirLevy aus seinenAufzeich
nungen eine Reihe wertvoller Hinweise erteilt. Auch seine für das ost
römische Vulgarrecht grundlegende Abhandlung „West-östliches Vulgar
recht", die in SZ 76 (1959) 1 ff. erscheinen wird, sowie die Abhandlung
über „Vulgarrecht und Kaiserrecht", die für die Festschrift Gutzwiller
bestimmt und einstweilen in Bull. 62 (1959) 1 ff. erschienen ist, hat mir
Levy schon im Manuskript zugänglich gemacht.
Anders war meine Lage gegenüber dem Privatrecht Justinians. Zwar hat
die jahrhundertelange Bearbeitung des Corpus iuris bereits viele Fragen
mit dogmatisch-juristischen Methoden durchleuchtet; und die moderne
Textkritik hat die Haltung dieses Kaisers gegenüber dem überkommenen
Recht in vielen Einzelheiten geklärt. Eine Gesamtdarstellung, die das Recht
Justinians aus seinen geschichtlichen Grundlagen zu deuten versucht, liegt
jedoch bisher nicht vor. Eine solche Bearbeitung wird sich heute davon
leiten lassen müssen, daß die jüngste Vulgarrechtsforschung auch die Po
sition J ustinians in ein neues Licht gerückt hat. Im Vordergrund steht jetzt
die Frage, inwieweit dieser Kaiser einerseits, gestützt auf die oströmische
Rechtswissenschaft, eine klassizistische Rückkehr zu den klassischen Ein
richtungen und Denkformen angestrebt hat, inwieweit er andererseits aber
auch die vulgarisierende Richtung seiner Vorgänger fortgesetzt hat. Die
beiden Bücher Levys haben, soweit sie reichen, auch diese Frage ver
schiedentlich erörtert, ohne doch den ganzen Stoff erschöpfen zu wollen.
Es blieb mithin meine Aufgabe, über diese Hinweise hinaus ein Gesamtbild
des justinianischen Privatrechts zu entwerfen, wobei versucht werden sollte,
dieses Recht aus den inneren und äußeren Kräften zu deuten, die es geformt
haben. Zugleich sollten, soweit möglich, die Grenzen bezeichnet werden, in
denen die Kompilation in der Praxisi hrer Zeit lebendige Geltung erlangt hat.
Im Vulgarismus und im Klassizismus hat die jüngste Forschung die Fak
toren erkannt, die vornehmlich die Schicksale des spätrömischen Privat
rechts in unterschiedliche Bahnen gelenkt haben. Andere Faktoren haben
demgegenüber auf die Rechtsentwicklung dieser Periode in einheitlichem
Sinn eingewirkt. Zu ihnen rechnen wir die Evolution aus den schon in der
Klassik angelegten Ansätzen und vor allem die neuen Kräfte: das Christen
tum, die verfassungsrechtliche Erneuerung, die völlige Verstaatlichung des
Zivilprozesses, teilweise auch die wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen;
schließlich den hellenistischen Einßuß, der sich indessen auch im Osten in
engeren Grenzen hält, als man bisher vielfach angenommen hat.
Vorwort IX
Der Gegenstand meiner Darstellung war im wesentlichen auf das römische
Reichsrecht vom 3. hie zum 6. Jh. zu beschränken, wobei ich hier und dort
Einzelheiten fttr das klassische Recht nachgetragen habe. Auf die nicht
römischen Volksrechte, die in den östlichen Provinzen nach deren Einglie
derung in das Römische Reich noch vielfach fortbestanden haben, bin ich
im allgemeinen nicht eingegangen. Das ließ sich um so eher verantworten,
als für das wichtigste Teilgebiet, das Recht der gräko-ägyptischen Papyri,
eine gesonderte Darstellung in diesem Handbuch vorgesehen ist. In welchen
Grenzen die Papyri gleichwohl auch rttr meine Darstellung heranzuziehen
waren, ist in § 195 II 4 genauer umschrieben.
Den zeitlichen Abschluß bezeichnet für den Westen die Geltung des rö
mischen Rechte fttr die Untertanen römischer Nationalität; darum waren
die westgotischen und burgundiechen Römergesetze und das Edikt Theo
deriche noch einzubeziehen. Das Fortleben römischer Rechtegedanken im
Mittelalter, um dessen Erfassung sich ein groß angelegtes internationales
Gemeinschaftswerk auf den Spuren Savignye bemühen wird, gehört da
gegen nicht mehr in die Privatrechtegeschichte der Antike. Ebenso durfte
die östliche Entwicklung des römischen Rechte mit der Gesetzgebung
Justiniane abgeschlossen werden. Was auf sie folgt, ja teilweise schon die
Novellengesetzgebung des Corpus iuris seihet, ist nach dem kulturellen Typus
und nach den Kräften, die darauf eingewirkt haben, nicht mehr römische,
sondern byzantinische Rechtsgeschichte. Ihre Neubearbeitung bleibt seit
Zachariäs grundlegender Zusammenfassung des „Griechisch-römischen
Rechte" (1892) ein dringendes Anliegen an die rechtegeechichtliche For
schung.
Die Gliederung meines dritten Teile folgt hie auf wenige, mir sachlich
geboten erscheinende Abweichungen dem Aufbau des zweiten; war doch
der Stoff des klassischen Rechte zum Ausgang zu nehmen und auf die
Umformungen, Ersetzungen und Wiederherstellungen zu prüfen, die er in
den mannigfachen räumlichen und kulturellen Sphären der nachklaesiechen
Ära erfahren hat. Auf ein innerlich geschlossenes System dürfen dabei die
nachklaesiechen Ordnungen noch weniger Anspruch erheben als die klas
sische. - Zu der fttr das klassische Recht (und damit auch fttr die nachklas
siechen Entwicklungen) gewählten Stoffeinteilung sei bei dieser Gelegenheit
bemerkt: Wenn mein Aufbau auf weite Strecken mit dem mancher Pan
dektenwerke übereinstimmt, eo beweist dies nicht meine Abhängigkeit von
der pandektietischen Methode, sondern ee erklärt sich einfach aus der stoff
lichen Gemeinsamkeit, die jeden Darsteller des antiken wie des neuzeitlichen
römischen Privatrechte unausweichlich dazu zwingt, eich in irgendeiner
Weise an das gajanieche Inetitutioneneyetem anzulehnen. Dieses römische
Schulsystem wird in seinen Grundgedanken - trotz mancher Schwächen
im einzelnen - dem römischen Privatrecht immer noch am besten gerecht.
Seine säkulare Kraft bewährt eich noch heutzutage in den römisch beein
ßußten Zivilgesetzbüchern des europäischen Kontinents, die sämtlich mehr
oder minder deutlich diesem Aufbau folgen. Über Einzelheiten freilich wird
man immer streiten können, etwa, ob man die einzelnen Schuldverhältnisse
als „Besonderen Teil des Obligationenrechte" herausheben und ob man,
X Vorwort
wie es die italienische Romanistik bevorzugt, das Erbrecht in einen allge
meinen und einen besonderen Teil gliedern soll. Alle diese Systematisierun
gen haben ihre Vorzüge und ihre Nachteile und können keine allgemeine
Gültigkeit beanspruchen. Vielfach sind sie von den subjektiven Anschau
ungen des einzelnen Forschers beeinflußt, besonders von der in seiner Heimat
geltenden Zivilrechtsordnung. So wichtig die Systemfrage an sich ist, sollte
sie für die historischen Darstellungen doch nicht überschätzt werden.
In der Anführung der Literatur bin ich den Grundsätzen gefolgt, die ich
schon im Vorwort zum ersten Teilband angedeutet habe. Wo es sich zwang
los durchführen ließ - also keineswegs überall-, habe ich auch die Literatur
angaben für das klassische Recht ergänzt. Die Quellenstellen habe ich für das
nachklassische Recht, bei dem ich mich in geringerem Umfang auf literari
sche Vorarbeiten stützen konnte als für das klassische, reichlicher zitiert als
für dieses. Auf mehrfachen Wunsch habe ich diesem Teilband ein Quellen
verzeichnis für das Gesamtwerk beigegeben.
Mein besonderer Dank gilt diesmal Ernst Levy und Artur Stein
wenter. Beide hervorragenden Kenner des spätrömischen Rechts, deren
freundschaftliche Gesinnung mich zutiefst beglückt, haben das Manuskript
durchgesehen und mir eine Fülle nützlicher Ratschläge erteilt. Die wert
vollen Hilfen, die mir Levy durch zahlreiche briefliche Hinweise sowie
durch die Zusendung der Manuskripte seiner beiden letzten Abhandlungen
gewährt hat, habe ich schon erwähnt. Ohne die Grundlagen, die er in seinen
meisterhaften Untersuchungen geschaffen hat, wäre meine Darstellung nicht
möglich geworden. Ich bin darum hocherfreut über die Anerkennung, die
er meiner Arbeit durch die Annahme der Widmung dieses Bandes bezeugt
hat. Artur Steinwenter, dem verehrten Lehrer, der uns vor wenigen
Monaten entrissen wurde, kann ich schmerzerfüllt meinen Dank nur noch
ins Grab nachrufen.
Herr Professor Alberto Burdese (Padua) hat auch diesmal einige Zitate
in italienischen Werken für mich nachgeprüft. Die Korrektur haben mein
Assistent Herr Assessor Dr. Dieter Medicus und Herr Dr. Henryk Kupi
szewski (Warschau), der in diesem Jahr in meinem Institut gearbeitet
hat, mitgelesen; beide haben das Werk mit ihren Ratschlägen gefördert. Zu
letzt hat mir noch Herr Professor Bengtson an Hand der Druckbogen
nützliche Hinweise ei't'3ilt,.A llen diesen H~lfern gilt mein herzlicher Dank.
Münster, im September 1959 Max Kaser