Table Of ContentArbeitslosenarbeit
Friedhelm Wolski-Prenger
Arbeitslosenarbeit
Erfahrungen. Konzepte. Ziele
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1996
Die Deutsche Bibliothek-CI?-Einheitsaufnahme
Arbeitslosenarbeit: Erfahrungen, Konzepte, Ziele I Friedhelm Wolski-Prenger (Hrsg.).
ISBN 978-3-8100-1577-8 ISBN 978-3-663-09283-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-09283-4
NE: Wolski-Prenger, Friedhelm [Hrsg.]
© 1996 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1996
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Satz: Leske + Budrich
Inhalt
Anstelle eines Vorwortes: Ein Interviewauszug ......................... ........... 7
Friedhelm Wolski-Prenger
Arbeitslosenarbeit im Überblick -
Einleitende Aspekte zu einer paradoxen Aufgabe ................................. 9
Dieter Rothardt/Eduard Wörmann
Evangelische Arbeitslosenarbeit ........................................................... 35
Wilfried Wienen/Hildegard Wustmanns
Von der Hilfe zur Arbeit zum Engagement in der regionalen
Strukturpolitik - Katholische Initiativen mit Erwerbsarbeitslosen
im Bistum Aachen ................................................................................. 43
Klaus Grehn
Der Arbeitslosenverband Deutschland e.V.
Modellversuch, Alternative oder ostdeutscher Sonderweg in der
Arbeitslosenarbeit? ...... ..... .............. ........................ ......... ...................... 67
Gerd-Erich Neumann
Arbeitslosenverband in der Region-
der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern ......... .......................... 81
Ursula Stielike
Die Bedeutung eines Arbeitslosen-Zentrums bei der Verarbeitung
von Arbeitslosigkeit .............................................................................. 89
Ulf Bröcker
Von der lokalen Initiative zum gemeinsamen Widerstand -
Erfahrungen und Überlegungen aus der Arbeitslosenselbsthilfe
Oldenburg (ALSO) ................................................................................ 97
6 Inhalt
Arbeitsloseninitiative Thüringen e. V.
Hans-Hermann Hoffmannllngrid SchindZer
Verbandliehe gewerkschaftsnahe Arbeitslosenarbeit -
Die Arbeitsloseninitiative Thüringen e.V. ............................................. 113
Heinz Putzhammer
Von der Arbeitslosenbetreuung zur Beschäftigungspolitik -
Zur Arbeitslosenarbeit der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW) ............................................................................. 119
Lara Lauwien
Das HDW und Metaller Arbeitslosenzentrum -
Ein Arbeitslosenprojekt in Harnburg ..................................................... 127
Uwe Kantelhardt
Gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit ................................................... 137
ThomasEden
ZEPRA e.V.-Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeitslosenprojekte für
Erwerbslose in Niedersachsen
Geschichte, Selbstverständnis und Arbeitsweise einer
landesweiten Kooperation ..................................................................... 155
Andreas Gallas
Politische Wirkungsmöglichkeiten von Arbeitslosen............................ 169
Thomas Kieselbach
Arbeitslosigkeit und Entfremdung:
Zur psychosozialen Bedeutung von Arbeitslosenarbeit als Aufbrechen
von Entfremdungsphänomenen ............... .................. .. .......... ....... ...... ... 187
Friedhelm Wolski-Prenger
Zukunftsaufgabe Arbeitslosigkeit-
Zum Konzept der Integrativen Arbeitslosenarbeit ................................ 211
Anhang
1. Bundesarbeitsgruppen (BAG) der Initiativen gegen
Arbeitslosigkeit und Armut - Selbstdarstellung ......... .... .......... ...... 227
2. Bundesarbeitsgruppen (BAG) der Initiativen gegen
Arbeitslosigkeit und Armut: Existenzgeld und
Mindesteinkommen .. ... .............. .... .. .......... ... .............. ..... ....... ... ... .. 229
3. Teilkommentierte Auswahlbibliographie "Arbeitslosenarbeit" ...... 234
Über die Autoren ...... .......... ...... .......... ...... ........ .. ............... ... ............... .. 239
Anstelle eines Vorwortes:
Ein Interviewauszug
A.: (arbeitslose Nutzerin eines Arbeitslosenzentrums) ... ich bin seit sechs
Jahren arbeitslos, ich finde in meinem Beruf nichts ... auch aufgrund
meines Alters. Dann bin ich nach K. gezogen, hatte Schwierigkeiten mit
dem Sozialamt, bin hier zur Beratung gekommen und so hier hängen
geblieben.
Interviewer (1.): Woher hatten Sie die Information über die Beratung hier?
A.: Durch eine Freundin, die hatte es zufällig gelesen. Da habe ich hier ange
rufen und bin zu einer ganz normalen Beratung gegangen. Die war abso
lut erfolgreich.
1.: Gibt es einen Unterschied zwischen der Beratung beim Sozialamt und
hier?
A.: Auf jeden Fall, beim Sozialamt haben die mich unwissend nach Hause
geschickt, haben mich mehr oder weniger fertiggemacht ( ... ) dann bin
ich hierher gegangen, und siehe da, das Sozialamt mußte doch zahlen.
1.: ( ... )Wie ist es denn dazu gekommen, daß Sie sich hier engagieren?
A.: Weil mir bei mir zu Hause die Decke auf den Kopf flog, mir ging es zu
der Zeit nicht gut, ich wollte unbedingt irgend etwas machen. Da habe
ich meinen ganzen Mut zusammengenommen (Lachen) und bin hierher
gekommen und habe gesagt: Hey Leute, braucht Ihr mich, das und das
kann ich ...
Friedhelm Wolski-Prenger
Arbeitslosenarbeit im Überblick -
Einleitende Aspekte zu einer paradoxen Aufgabe
1. Zur begrifflichen Paradoxie:
Arbeit, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenarbeit
"Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt, ohne jemanden auszuschließen
oder zu bevorzugen, auf daß sie alle seine Mitglieder ernähre. ( ... ) Durch die Arbeit gelingt es
dem Menschen, sich unter Gebrauch seines Verstandes und seiner Freiheit die Erde zu unter
werfen und zu seiner würdigen Wohnstatt zu machen. Auf diese Weise macht er sich einen Teil
der Erde zu eigen, den er sich durch Arbeit erworben hat." Papst Johannes Paul II., 19911
"Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu
Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist
daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit! Sie ist daher nicht die Befriedigung
eines Bedürfnisses, sondern nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen." Kar!
Marx 18442
In den Beiträgen zu diesem Band werden zur Bezeichnung des Gegenstan
des, um den es geht, unterschiedliche Begriffe verwendet. Es geht den einen
um Arbeitslosenarbeit, anderen um Erwerbslosenarbeit und Dritten um den
Einsatz für die Erwerbsarbeitslosen. Daß so unterschiedliche Entscheidungen
fielen, hängt sicher mit der Bedeutungsvielfalt von "Arbeit" und den damit
gebildeten Komposita in der deutschen Sprache zusammen.
Das deutsche Nomen "Arbeit" wird etymologisch auf ein germanisches
Verb zurückgeführt: "arbejo" bedeutet ,bin ein verwaistes (und deshalb zu
mühevoller Arbeit verdingtes) Kind.3 "Arbeit" umfaßt aber heute über diese
Herkunft hinaus unterschiedliche Bedeutungen, für die andere Sprachen ver
schiedene Begriffe haben. Das Nomen "work" bezeichnet beispielsweise im
Englischen u.a. den Gebrauch von körperlicher oder geistiger Kraft, um et
was zu erreichen. "Labour" bezeichnet "work" mit dem Ziel, Geld zu verdie
nen. Mit beiden Aspekten können sehr unterschiedliche Tätigkeiten und vor
allem Empfindungen verbunden sein. Der Einsatz geistiger und/oder körper
licher Potentiale, um etwas zu schaffen, wird vielfach als genuin menschliche
Fähigkeit und damit als Grundbedürfnis von Menschen angesehen. Nur der
I Johannes Paul II.: Sozialenzyklika Centesimus Annus 1991
2 Kar! Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahr 1844, S. 86 f. in:
dsb./Friedrich Engels: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, hrsg. vom Institut für Mar
xismus-Leninismus des ZK der SED, Berlin 1989
3 Georg Vobruba: Arbeit. In: Thomas Meyer u.a.: Lexikon des Sozialismus, Köln 1986
10 Friedhelm Wolski-Prenger
Mensch ist dazu befähigt, seine grundsätzlich feindliche Umwelt zu gestalten
und-wie Johannes Paul Il. es ausdrückt-zu einer "würdigen Wohnstatt" zu
machen, von der die Erde bekanntermaßen sowohl in den peripheren Bezir
ken des Weltmarktes als auch an der Peripherie der Wohlstandsgesellschaften
weit entfernt ist. In der die globalen Spaltungen verursachenden kapitalisti
schen Wirtschaftsverfassung kann der Zwang, die menschlichen Potentiale
zum Erwerb des Lebensunterhaltes einzusetzen, je nach Art der Erwerbstä
tigkeit Leiden verursachen. Dieses Leiden an der Entfremdung der Arbeit im
Kapitalismus (eine nebenbei bemerkt offensichtlich moralische und damit
"unmarxistische" Kategorie) war Ausgangspunkt für Marx' ökonomische
Analyse.
Literarisch dargestellt finden sich solche unterschiedliche Sichtweisen
zur Arbeit etwa bei Mark Twain, der seinen Tom Sawyer beim Anstrich ei
nes Zaunes auf den Gedanken kommen läßt, daraus ein Ereignis für die Er
lebnisgesellschaft zu machen. Das Binden von Blumendraht zwecks Gelder
werb ist eben "Arbeit", das Besteigen des Mount Everest dagegen Vergnü
gen.
Daß Arbeit im Alltagsverständnis vor allem zunächst als Mühe und Last
aufgefaßt wird, verdeutlicht Heinrich Böll in seiner "Andekdote zur Senkung
der Arbeitsmoral." Ein Tourist begegnet einem Fischer, der bereits vormit
tags im Schatten seines Bootes ruht. Die Frage des Touristen, warum er denn
nicht fische, beantwortet der Fischer mit dem Hinweis darauf, er habe genug
Fische für den Tagesbedarf gefangen. Der entsetzte Tourist zählt dem Fischer
die Vorteile auf, die ein Fang über den Bedarf hinaus für ihn haben werde -
den baldigen Erwerb eines zweiten Bootes, später eines dritten, die Beschäf
tigung von Mitarbeitern, schließlich der Besitz einer ganzen Flotte. Warum er
dies tun solle, fragt der Fischer. Der Tourist malt ihm in leuchtenden Farben
einen geruhsamen Lebensabend nach vollendetem Erwerbsleben aus. Der Fi
scher antwortet, daß er sich bereits jetzt hervorragend ausruhe.
Für den vorkapitalistisch denkenden Fischer ist Arbeit Mühe und Last,
die auf das lebensnotwendige Maß zu beschränken ist. Der "urlaubende"
Tourist, dem die Muße des Fischers Ärgernis ist, faßt Arbeit als eigenen Wert
auf, als Mittel zum Gelderwerb und zur Mehrung des (eigenen) Wohlstands.
Für die in kapitalistischen Gesellschaften herrschende Arbeitsmoral ist der
Tourist repräsentativ. Arbeit genießt seit Beginn der Neuzeit ein weitaus hö
heres Ansehen, als das in der Antike oder im Mittelalter der Fall war.
(Sklaven-) Arbeit war zwar die Grundlage der Feudalgesellschaften des Al
tertums, "Arbeit" aber stand außerhalb der Gesellschaft, zu der die arbeiten
den Sklaven nicht gehörten. Muße war das gesellschaftliche Ideal, wohinge
gen seit Luther und Calvin "Müßiggang aller Laster Anfang" ist.
Damit ist angesprochen, daß die Wertschätzung der Arbeit und die damit
verbundene Leidensursache "Arbeitslosigkeit" eng mit der Durchsetzung der
von Max Weber so genannten protestantischen Ethik zusammenhängen. Be-
Arbeitslosenarbeit im Überblick 11
Iastungen durch den Verlust der Erwerbsarbeit, für den Fischer in der Anek
dote kaum denkbar, konnten - ebenso wie etwa die Forderung nach dem
"Recht auf Arbeit" - erst nach der Durchsetzung der industriekapitalistischen
Produktionsweise entstehen. Mußte in der Frühzeit der Industrialisierung das
Fabriksystem mit seinen starren Arbeitszeiten und seinen monotonen und
harten Arbeitsbedingungen zunächst mit körperlichem Zwang und mit der
Drohung von Armut und Arbeitshaus durchgesetzt werden, so setzte sich mit
dem Siegeszug des Kapitalismus zunehmend auch eine Haltung zur Arbeit
durch, die Weber als "protestantische Ethik" in Entstehung und Wirkung
untersuchte.4 Diese heute auch als kapitalistische Ethik bezeichnete Lebens
haltung mißt der Erwerbsarbeit einen hohen Rang bei. Erwerbsarbeit wurde
als moralisch-religiöse Verpflichtung aufgefaßt, eine Folge der insbesondere
von dem Kirchenreformator Johann Calvin vertretenen Lehre von der Prä
destination (Vorherbestimmung). Der Prädestinationslehre zufolge weiß Gott
als Allwissender schon bei der Geburt eines Menschen, ob dieser das Para
dies erreichen oder der ewigen Verdammnis anheimfallen wird. Zwar will
Gott das Gute für alle Menschen, aber er weiß im Voraus, ob ein Mensch
seinen freien Willen zu einem gottgefälligen Leben oder zur Gottlosigkeit
nutzen wird. Dieser - inzwischen verworfenen - Lehre zufolge gab es ein
Mittel für die protestantischen Gemeinden, die Prädestination eines Gemein
deglieds zu erkennen. Wenn nämlich dessen Leben durch Wohlstand und
wirtschaftlichen Erfolg gekennzeichnet war, wurde dies als Beleg für die
Vorherbestimmung für das Himmelreich angesehen. Daher war Gewerbefleiß
hochangesehen, Verschwendung und Faulheit dagegen geächtet. Ein so be
gründeter "Konsumverzicht" war eine wesentliche geistige Grundlage des
entstehenden lndustriekapitalismus.
Diese somit zunächst religiös entstandene, später säkularisierte Ethik
setzte sich in den kapitalistischen Gesellschaften gegen traditionelle Mentali
täten durch. Heute hat die kapitalistische Ethik mit Religion kaum mehr et
was zu tun, dennoch gilt Leistung in der Erwerbsarbeit nach wie vor als ho
her Wert an sich. Sehr viele Menschen leiten ihre persönliche Identität von
ihrem beruflichen Status ab. Prestige erlangt, wer viel arbeitet und beruflich
erfolgreich ist; Meßgröße dabei ist nicht selten die Höhe des Erwerbsein
kommens.5
Im damit zusammenhängenden Kompositum "Erwerbsarbeit" wird deut
lich die mit dem englischen "Labour" bezeichnete Funktion des Gelderwerbs
4 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: dsb.: Gesam
melte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen 1920, 5 ., photomechanisch gedruckte
Auflage 1963
5 In der gewerkschaftlichen und politischen Diskussion über Arbeitszeitverkürzung wird die
ethische Dimension von Arbeit m.E. zu stark ausgeblendet; der vermeintliche Wertewan
del hat sich in breiten Schichten noch keineswegs so durchgesetzt wie manche Sozialwis
senschaftler dies vermuten.
12 Friedhelm Wolski-Prenger
durch Arbeit angesprochen, auf die "Arbeit" einem verbreiteten Verständnis
nach in der Alltagssprache beschränkt ist. Gut zusammengefaßt hat die Be
deutung der Erwerbsarbeit nach Durchsetzung der kapitalistischen Ethik eine
der Begründerinnen der Arbeitslosenforschung. Marie Jahoda, Mitverfasserio
der bekannten und in diesem Buch von einigen Autoren angesprochenen,
1933 erstmals veröffentlichten Studie über "Die Arbeitslosen von Marient
hal" schrieb 1983, zum einen sei die Erwerbsarbeit in kapitalistischen Wirt
schaftssystemen das Mittel, durch das die große Mehrheit der Menschen ih
ren Lebensunterhalt verdiene, "zum anderen zwingt sie, als ein unbeabsich
tigtes Nebenprodukt ihrer Organisationsform, denjenigen, die daran beteiligt
sind, bestimmte Kategorien der Erfahrung auf. Nämlich: Sie gibt dem wach
erlebten Tag eine Zeitstruktur; sie erweitert die Bandbreite der sozialen Be
ziehungen über die oft stark emotional besetzten Beziehungen zur Familie
und zur unmittelbaren Nachbarschaft hinaus; mittels Arbeitsteilung demon
striert sie, daß die Ziele und Leistungen eines Kollektivs diejenigen des In
dividuums transzendieren; sie weist einen sozialen Status zu und klärt die
persönliche Identität; sie verlangt eine regelmäßige Aktivität."6
Die damit angesprochene individuelle Bedeutung und hohe gesellschaft
liche Wertschätzung der Arbeit gilt auch und gerade für die ehemalige DDR,
die sich selbst als nicht-kapitalistisch verstand. Zunächst ist daran zu erin
nern, daß auch die deutsche Arbeiterbewegung, auf die die Herrschenden in
der DDR sich beriefen, Arbeit, das Recht zur Arbeit und auch die Pflicht zur
Arbeit als hohes Gut ansah. In der DDR galt Nicht-Erwerbstätigkeit als
"asozial" und wurde mit dem Entzug von Sozialleistungen bestraft. Das
Recht auf Arbeit wurde als durchgesetzt deklariert, offiziell existierte keine Ar
beitslosigkeit.7 Die Erwerbsquoten in der DDR waren höher als in der alten
Bundesrepublik, vor allem bei den Frauen. "Die Berufstätigkeit war nicht nur
schlechthin erwünschte Tätigkeit, sondern Norm des gesellschaftlichen Verhal
tens überhaupt. Nicht zu arbeiten, lag außerhalb des Vorstellungsvermögens der
meisten Bürger, (zu arbeiten, F. W.-P.) war von der Gesellschaft eingeforderte
Pflicht eines jeden Bürgers im entsprechenden Alter, zu der er auch nach § 246
des Strafgesetzbuches der DDR von 1968 gezwungen werden konnte."8
Die aus der gewohnten Organisation der Arbeit in der ehemaligen DDR
resultierenden besonderen Belastungen, die "DDR-Arbeitslose" zu verkraften
haben, führt einige Autoren dazu, von einer eigenen "DDR-Arbeitslosigkeit"
zu sprechen, die qualitativ anders als westdeutsche Arbeitslosigkeit zu bewer-
6 Marie Jahoda: Wieviel Arbeit braucht der Mensch? Weinheim und Basel 1983, S. 136;
u.a. bezieht sich auch Thomas Kieselbach in seinem Beitrag in diesem Band auf diese
Definition.
7 vgl. den Beitrag von Klaus Grehn in diesem Band
8 Peter Voigt!Renate Hili: Arbeitslosigkeit-ein spezifisches Phänomen in den neuen Bun
desländern? Der Versuch einer Antwort am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommem. In:
Thomas Kieselbach!Peter Voigt (Hrsg.): Systemumbruch, Arbeitslosigkeit und individuel
le Bewältigung in der Ex-DDR, Weinheim 1992, S. 113