Table Of ContentSWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit
Stephan Roll
Ägyptens Unternehmer-
elite nach Mubarak
Machtvoller Akteur zwischen Militär
und Muslimbruderschaft
S 14
Juli 2013
Berlin
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ISSN 1611-6372
Inhalt
5 Problemstellung und Empfehlungen
7 Die Unternehmerelite und das Ende des
Mubarak-Regimes
7 Hintergrund: Oligarchisierung der ägyptischen
Wirtschaft unter Mubarak
9 Risse im Regime: Die Unternehmerelite,
Gamal Mubarak und das Militär
11 »Fette Katzen« hinter Gittern?
13 Der Umgang der Muslimbruderschaft mit der
etablierten Unternehmerelite
13 Die wirtschaftspolitische Agenda
und ihre Umsetzung
15 Einstieg in die formelle Wirtschaft und
Ausbau von Netzwerken zur etablierten
Unternehmerelite
17 Aufarbeitung von Korruption und Misswirtschaft
der Mubarak-Ära
19 Grenzen der Annäherung: Mitglieder der
Unternehmerelite in der Opposition gegen
die Muslimbrüder
19 Parteien- und Kampagnenfinanzierung
21 Finanzierung von Massenmedien
24 Investitionsverweigerung und Kapitalabzug:
Der Fall OCI
27 Ausblick und Schlussfolgerungen
29 Anhang
30 Abkürzungen
30 Literaturhinweise
Dr. Stephan Roll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im
SWP-Projekt »Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung
in der arabischen Welt«.
Das Projekt wird gefördert aus Mitteln des Auswärtigen
Amtes im Rahmen der Transformationspartnerschaften mit
der arabischen Welt sowie der Robert Bosch Stiftung und
kooperiert mit dem Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung
sowie dem Institut für Begabtenförderung der Hanns-Seidel-
Stiftung.
Problemstellung und Empfehlungen
Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak.
Machtvoller Akteur zwischen Militär und
Muslimbruderschaft
Im letzten Jahrzehnt der Mubarak-Ära hatten in
Ägypten wenige Großunternehmer Kontrolle über
weite Teile der Wirtschaft erlangt. Dadurch waren sie
auch Teil der politisch relevanten Elite geworden,
deren Mitglieder Einfluss auf grundlegende strategi-
sche Entscheidungen des Landes haben. Vor diesem
Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle diese
Unternehmerelite im ägyptischen Transformations-
prozess einnimmt, der mit dem Sturz Husni Mubaraks
Anfang 2011 eingeleitet wurde. Gelingt es den Groß-
unternehmern, ihre Vormachtstellung in Ägyptens
Wirtschaft zu verteidigen? Vor allem aber: Kommt
ihnen auch in der Post-Mubarak-Ära eine gewichtige
politische Rolle zu?
Die folgende Analyse zeigt, dass die ägyptische
Unternehmerelite bislang sehr erfolgreich darin war,
sowohl ihre wirtschaftliche Macht als auch ihren
politischen Einfluss zu bewahren. Obwohl sich der
Zorn vieler Ägypter, die 2011 gegen das Mubarak-
Regime auf die Straße gingen, auch gegen die als
korrupt geltende Unternehmerelite richtete, gelang
es den meisten ihrer Mitglieder, die eigenen Wirt-
schaftsimperien über den Sturz Mubaraks hinaus zu
erhalten. Nur sehr wenige Großunternehmer mussten
sich in den Monaten nach dem politischen Umbruch
vor Gericht verantworten. Die meisten profitierten
davon, dass Korruption und Misswirtschaft vom
Obersten Militärrat, der zunächst die Führung des
Landes übernommen hatte, nur in laxer Weise auf-
gearbeitet wurden und es dabei an Transparenz wie
an rechtsstaatlichen Standards mangelte.
Auch die Muslimbruderschaft hielt an diesem
Vorgehen fest. Schon vor dem Sieg ihres Kandidaten
Mohammed Mursi bei den Präsidentschaftswahlen
2012 arbeitete sie auf eine Allianz mit der etablierten
Unternehmerelite hin. Die Forderung aus der Zivil-
gesellschaft, zurückliegendes Fehlverhalten von Wirt-
schaftsakteuren umfassend aufzuklären, wurde von
ihr nicht mitgetragen. Vielmehr setzte sie darauf,
außergerichtliche Einigungsverfahren anzuwenden
und die etablierte Unternehmerelite in ihre eigenen
Herrschaftsnetzwerke einzubeziehen. Vor allem aber
orientierte sie sich programmatisch an den Leitlinien
der wachstums- und privatsektororientierten Wirt-
SWP Berlin
Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
Juli 2013
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Problemstellung und Empfehlungen
schaftspolitik der Mubarak-Ära. Dieser Kurs, den die Bezug auf staatliches Handeln in der Wirtschaft sowie
internationale Gebergemeinschaft immer wieder die Reform der Wettbewerbsordnung zu unterstützen.
gelobt hatte, war insbesondere den Spitzenunterneh- Außerdem sollte die Professionalisierung des ägyp-
mern des Landes zugutegekommen. tischen Mediensektors vorangetrieben werden, damit
Der Versuch, Ägyptens Unternehmerelite zu koop- dieser künftig eine unabhängige Kontrollfunktion
tieren, scheiterte allerdings ebenso wie die Bemühun- ausüben kann.
gen einiger Mitglieder der Bruderschaft, die eigenen Zum anderen sollten Deutschland und Europa dem
wirtschaftlichen Aktivitäten in nennenswertem Um- Land dabei helfen, ein gerechteres Steuersystem und
fang auszubauen. Nur wenige Großunternehmer eine effizientere Steuerverwaltung aufzubauen. Es
arrangierten sich mit der Bruderschaft und akzeptier- wird dem Land keinen sozialen Frieden bringen, wenn
ten deren politischen Machtanspruch. Der größere die einseitige Wachstumspolitik der späten Mubarak-
Teil unterstützte die Gegner der Bewegung – durch Ära einfach fortgesetzt wird. Denn ohne eine aktivere
Finanzierung von oppositionellen Parteien und Politi- Umverteilungspolitik des Staates wird es künftig
kern sowie über private Medien. Viele der meist säku- kaum gelingen, eine stärkere Breitenwirksamkeit wirt-
lar geprägten Großunternehmer hegten ein grund- schaftlicher Entwicklung in Ägypten zu erreichen.
sätzliches Misstrauen gegenüber Vertretern des
politischen Islam, die in der Regel nicht ihren gesell-
schaftlichen Kreisen angehörten. Dieser Argwohn
wurde im Laufe von Mursis Präsidentschaft noch ver-
stärkt, weil die Administration wirtschaftspolitisch
äußerst unprofessionell agierte und ihre Signale an
das Unternehmerlager immer widersprüchlicher
wurden.
Der Konflikt mit Teilen der Unternehmerelite trug
dazu bei, dass es der Muslimbruderschaft nicht ge-
lang, ihre durch Wahlen erlangte Macht zu konsoli-
dieren. Mursis Absetzung durch das ägyptische Militär
Anfang Juli 2013 erfolgte zwar auf Druck der Straße.
Letztlich waren es aber etablierte Interessengruppen
wie die Unternehmerelite, die monatelang auf das
politische Scheitern der Bruderschaft hingearbeitet
hatten. Die Mursi-Administration, deren politisches
Taktieren in der Bevölkerung immer weniger Unter-
stützung fand, hatte dem Widerstand dieser Inter-
essengruppen und damit auch der Unternehmerelite
kaum etwas entgegenzusetzen.
Auch in Zukunft dürfte der Einfluss der Groß-
unternehmer auf den politischen Entscheidungspro-
zess erheblich sein. In der Übergangsregierung sind
vorwiegend Politiker und Technokraten vertreten, die
dem Unternehmerlager nahestehen. Schon dies lässt
erkennen, dass die Interessen der Großunternehmer
im weiteren Verlauf des Transformationsprozesses
gewahrt sein dürften. Ungeachtet der aktuellen poli-
tischen Turbulenzen sollten Deutschland und die EU
bei ihrer langfristigen Zusammenarbeit mit Ägypten
daher versuchen, den absehbaren Negativfolgen eines
solchen Einflusses entgegenzuwirken. Zum einen soll-
ten sie stärker als bisher eine Reform des regulativen
Rahmens der ägyptischen Wirtschaft fördern. Dabei
gilt es vor allem, die Schaffung von Transparenz in
SWP Berlin
Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
Juli 2013
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Hintergrund: Oligarchisierung der ägyptischen Wirtschaft unter Mubarak
Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes
Die Proteste, die 2011 zum Zusammenbruch des allgemeinen Lebensverhältnisse nicht. Im Gegenteil –
Mubarak-Regimes führten, richteten sich nicht nur nach offiziellen Statistiken nahm die Armut insbeson-
gegen politische Unterdrückung und staatliche Will- dere unter der Landbevölkerung weiter zu.2
kür, sondern ebenso gegen soziale Ungerechtigkeit Zugleich entsprach der weitverbreitete Eindruck,
und ausufernde Korruption. Im Vorfeld des Umsturzes eine kleine Unternehmerelite habe maßgeblich Kon-
hatte in der Bevölkerung auch die Wut auf Ägyptens trolle über die Wirtschaft des Landes erlangt, durch-
Unternehmerelite zugenommen, die von der Privati- aus der Realität. So hatte sich der private Unterneh-
sierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte erheblich menssektor in der dreißigjährigen Amtszeit Husni
profitieren konnte. Ihren Vertretern – im Volksmund Mubaraks gleich in zweierlei Hinsicht grundlegend
oftmals »fette Katzen« genannt – wurde vorgeworfen, gewandelt. Zum einen spielten private Unternehmen
den eigenen Reichtum vor allem durch Vernetzung eine immer wichtigere Rolle in der ägyptischen Wirt-
mit der politischen Entscheidungsebene erlangt zu schaft. Bereits Mubaraks Vorgänger im Präsidenten-
haben. Die vielen Unternehmer, die in Ägypten seit amt, Anwar al-Sadat, hatte durch seine wirtschaftliche
der Jahrtausendwende wichtige politische Ämter Öffnungspolitik (Infitah) in den späten 1970er Jahren
bekleideten, wurden dafür als Beleg gesehen. Diesem bessere Rahmenbedingungen für privates Unterneh-
System des »Kumpelkapitalismus« (crony capitalism)1 mertum geschaffen. Mubarak setzte diese Politik zu-
ein Ende zu setzen und die mächtigen Unternehmer- nächst nur beschränkt fort, als er Anfang der 1990er
familien in die Schranken zu weisen wurde zu einer Jahre eine wirtschaftliche Strukturanpassung einlei-
zentralen Forderung der Protestbewegung. Zudem tete. Ab 2004 wurde der Privatisierungsprozess aller-
waren Risse im Herrschaftssystem entstanden. Beson- dings intensiviert. Allein zwischen 2004 und 2008
ders im Militär wurde der gestiegene politische Ein- erzielte der ägyptische Staat mehr als doppelt so hohe
fluss einiger Großunternehmer missbilligt. Zu einer Privatisierungseinnahmen wie in den zehn Jahren
Entmachtung der Unternehmerelite kam es in den davor.3 Der private Unternehmenssektor verzeichnete
Folgemonaten des politischen Umsturzes allerdings gegenüber dem noch immer starken öffentlichen Sek-
nur bedingt. tor eine Bedeutungszunahme, die sich vor allem in
der Entwicklung von Beschäftigung und inländischen
Investitionen niederschlug. Während sich der Anteil
Hintergrund: Oligarchisierung der des privaten Sektors an der Beschäftigung um über
ägyptischen Wirtschaft unter Mubarak 10 Prozentpunkte auf 73 Prozent erhöhte, erfuhr sein
Anteil an den Investitionen nahezu eine Verdoppe-
Viele Ägypter fühlten sich in der Mubarak-Ära von der lung auf 62 Prozent (vgl. Abbildung S. 8).4
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes abgekoppelt
und sahen die Schere zwischen Arm und Reich immer
2 Während 2005 noch 20 Prozent der Bevölkerung unter-
weiter auseinanderklaffen. Tatsächlich standen die halb der nationalen Armutsrate lebten, waren es 2008 bereits
zeitweise hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten 22 Prozent. Vgl. World Bank, World Development Indicators 2012,
seit der Jahrtausendwende im Widerspruch zur sozia- <http://data.worldbank.org/sites/default/files/wdi-2012-
ebook.pdf> (Zugriff am 4.6.2013).
len Entwicklung des Landes. So verzeichnete Ägypten
3 Vgl. Stephan Roll, Geld und Macht: Finanzsektorreformen und
zwischen 2005 und 2008 einen jährlichen Anstieg des
politische Bedeutungszunahme der Unternehmer- und Finanzelite in
Bruttoinlandsproduktes (BIP) von durchschnittlich Ägypten, Berlin 2010, S. 120.
über 6 Prozent; gleichzeitig aber verbesserten sich die 4 Der Anteil des Privatsektors am BIP blieb hingegen gleich.
Allerdings ist die Entwicklung des BIP nur wenig aussagekräf-
tig, da die Wertschöpfung des öffentlichen Sektors insbeson-
1 Zum Konzept des »crony capitalism« vgl. u.a. Clement M. dere durch die Einnahmen aus dem Suezkanal und der ägyp-
Henry/Robert Springborg, Globalization and the Politics of Develop- tischen Rohstoffproduktion entsteht, die wiederum stark von
ment in the Middle East, Cambridge: Cambridge University der Entwicklung des internationalen Güterverkehrs sowie den
Press, 2012, S. 156ff. Weltmarktpreisen für Erdöl und Erdgas beeinflusst werden.
SWP Berlin
Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
Juli 2013
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Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes
Abbildung:
Bedeutung des Privatsektors in der ägyptischen Wirtschaft 1985–2011
80%
70%
60%
50%
40%
Anteil an der Beschäftigung
30%
Anteil am BIP
20%
Anteil an den Investitionen
10%
0%
1985/86 1990/91 1995/96 2000/01 2005/06 2010/11
Eigene Darstellung, Datenquelle: ägyptisches Planungsministerium
Zum anderen fand eine bemerkenswerte Kapital- großen Teil der ägyptischen Wirtschaft erlangen
konzentration innerhalb des privaten Unternehmens- konnte. Wie sich diese Gruppe genau zusammensetzt,
sektors statt. Gab es noch zu Beginn der 1980er Jahre wurde empirisch bislang nur begrenzt untersucht.
keine nennenswerten Großunternehmen im privaten Schätzungen zufolge hatten Ende 2010 mindestens
Besitz, wurden zum Ende der Mubarak-Ära zahlreiche 21 Familien Nettovermögenswerte von jeweils über
Wirtschaftsbereiche durch einzelne Privatfirmen do- 100 Millionen US-Dollar (vgl. Tabelle 1, S. 29). Einige
miniert. Diese Kapitalkonzentration war eine direkte dieser Familien – allen voran die Sawiris und die
Folge der Privatisierungspolitik unter Mubarak. Vor Mansour – waren sogar Milliarden US-Dollar schwer.6
dem Hintergrund allgegenwärtiger Korruption bei Besonders deutlich wurde die Vormachtstellung dieser
staatlichen Unternehmensverkäufen und bei Vergabe »wirtschaftlichen Kernelite« an der ägyptischen Börse.
öffentlicher Aufträge, begünstigt durch ein System 2008 kontrollierten 11 Unternehmerfamilien mit
präferentieller Kredite und das Fehlen staatlicher ihren Firmen über 30 Prozent der Marktkapitalisie-
Marktaufsicht, gelang es einigen wenigen Unterneh- rung der Egyptian Exchange (EGX).7 Eng verbunden
mern, riesige Wirtschaftsimperien zu errichten. Zwar mit diesen wenigen Oligarchen waren zahlreiche
war der Unternehmenssektor nach wie vor durch Subunternehmer und Manager großer Privatfirmen,
kleine und mittelgroße Betriebe geprägt – gerade ein- die ihrerseits über erhebliche Vermögenswerte ver-
mal 0,1 Prozent der Unternehmen in Ägypten hatten fügten. So schätzte das Consulting-Unternehmen
2006 mehr als 100 Mitarbeiter.5 Doch zumeist ver- Wealth-X, dass 2011 in Ägypten 490 Familien lebten,
fügten die wenigen privaten Großunternehmen in deren Nettovermögen sich jeweils auf mindestens
ihren jeweiligen Wirtschaftssektoren über eine markt- 30 Millionen US-Dollar belief. Zusammen besaßen
beherrschende Stellung, wie Ezz Industries im Stahl- diese Familien mehr als 65 Milliarden US-Dollar an
sektor, Ghabbour Auto im Automobilsektor oder
Juhayna Food Industries in der Molkerei-Industrie.
Beide Entwicklungen zusammen – die Bedeutungs-
6 Das Vermögen der Sawiris-Familie wurde vom Wirtschafts-
zunahme des Privatsektors und die dortige Kapital-
magazin »Forbes« 2012 auf rund 11 Milliarden US-Dollar ge-
konzentration – führten dazu, dass eine kleine Grup-
schätzt, das der drei Mansour-Brüder auf über 6 Milliarden
pe von Personen bzw. Familien durch Eigentums- und
US-Dollar. Vgl. Forbes, The World’s Billionaires 2012, <www.
Managementbeziehungen die Kontrolle über einen forbes.com/billionaires/list/#page:1_sort:0_direction:asc_
search:_filter:All%20industries_filter:Egypt_filter:All%20
states> (Zugriff am 4.6.2013).
5 Vgl. African Development Bank, Egypt Private Sector Country 7 Vgl. Stephan Roll, »›Finance Matters!‹ The Influence
Profile 2009, S. 115, <www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/ of Financial Sector Reforms on the Development of the
Documents/Project-and-Operations/Brochure%20Egypt%20 Entrepreneurial Elite in Egypt«, in: Mediterranean Politics,
Anglais.pdf> (Zugriff am 2.6.2013). 15 (2010) 3, S. 360.
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Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
Juli 2013
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Risse im Regime: Die Unternehmerelite, Gamal Mubarak und das Militär
Vermögenswerten.8 Gemessen am persönlichen Reich- Viele Großunternehmer vermieden allerdings das
tum umfasste die ägyptische Unternehmerelite zu direkte politische Engagement. Doch auch sie verfüg-
Beginn des politischen Umbruchs Anfang 2011 daher ten über eine Reihe von Einflusskanälen, um ihre
mehrere hundert Familien und Einzelpersonen.9 Interessen im politischen Entscheidungsprozess ab-
zusichern. Am offensichtlichsten wurde dieser in-
direkte Einfluss im Fall der koptischen Sawiris, der
Risse im Regime: Die Unternehmerelite, wohl reichsten Familie des Landes. Sie ist im Bau-,
Gamal Mubarak und das Militär Tourismus- und Telekommunikationssektor aktiv.
Durch Geschäftsbeziehungen zu politischen Entschei-
Durch ihre dominante Stellung in der ägyptischen dungsträgern, Beteiligungen im ägyptischen Medien-
Wirtschaft waren Mitglieder der Unternehmerelite sektor sowie die Mitgliedschaft in wirtschaftsnahen
auch in den Kreis der politisch relevanten Elite auf- Organisationen und Interessenverbänden konnte
gestiegen.10 Großunternehmer erlangten wichtige sie ihre Anliegen in den politischen Entscheidungs-
Ministerämter, darunter etwa Rachid Mohammed prozess einbringen. Besondere Bedeutung kam hier-
Rachid, lokaler Partner des internationalen Nahrungs- bei dem Egyptian Center for Economic Studies (ECES)
mittelkonzerns Unilever, oder Mohammed Mansour, zu, einem Wirtschaftsforschungsinstitut, das von
dessen Familienunternehmen der größte Vertriebs- mehreren einflussreichen Unternehmern Mitte der
partner von General-Motors-Fahrzeugen weltweit ist. 1990er Jahre gegründet und 2001 durch die U.S.
Andere, allen voran der Stahlunternehmer Ahmed Agency for International Development (USAID) mit
Ezz, besetzten zentrale Positionen im Parlament und Fördergeldern in Höhe von über 10 Millionen US-
in der regierenden Nationaldemokratischen Partei Dollar bedacht worden war.12 In den wissenschaft-
(NDP). Ezz, dessen Firmenkonglomerat nahezu über lichen Studien des Instituts wurden die Grundzüge
eine Monopolstellung im nationalen Stahlsektor ver- einer neoliberalen Reformpolitik auf die spezifische
fügte, war Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Situation Ägyptens übertragen.13 Im Vordergrund
ägyptischen Unterhaus und Mitglied aller Führungs- standen dabei die Entwicklung des privaten Unter-
gremien der Regierungspartei.11 nehmenssektors sowie Ägyptens weitere außenwirt-
schaftliche Öffnung. Allerdings findet sich in den
ECES-Papieren auch die Forderung nach einer par-
8 Vgl. Wealth-X, World Ultra Wealth Report 2012–2013, Singapur tiell interventionistischen Wirtschaftspolitik wieder.
2012, S. 91, <http://wealthx.com/wealthreport/Wealth-X- Der politische Einfluss des ECES war auch deshalb
world-ultra-wealth-report.pdf> (Zugriff am 4.6.2013). so groß, weil zu seinen Gründungsmitgliedern der
9 In der sozialwissenschaftlichen Forschung gibt es keine
Präsidentensohn Gamal Mubarak gehörte. Dieser
klare Definition des Elitenbegriffs. In der neueren Forschung
wurde seit den späten 1990er Jahren sukzessive als
werden mit »Elite« meist Personengruppen bezeichnet, »die
über wichtige Machtressourcen verfügen, die es ihnen erlau- Nachfolger seines Vaters aufgebaut. Die Beziehung
ben, Einfluss auf gesellschaftlich bedeutende Entscheidungen zwischen ihm und der Unternehmerelite bildete eine
zu nehmen«. Ursula Hoffmann-Lange, Eliten, Macht und Konflikt Zweckgemeinschaft. Weil Gamal Mubarak – anders
in der Bundesrepublik, Opladen 1992, S. 83. Bei Unternehmern
als Husni Mubarak und dessen Vorgänger im Präsi-
stellt Kapital eine solche Machtressource dar. Ein individuel-
dentenamt – Zivilist war, verfügte er über keine ge-
les Vermögen von 30 Millionen US-Dollar als entsprechendes
wachsene Machtbasis im ägyptischen Militär. Er war
Zugehörigkeitskriterium ist willkürlich gewählt, bietet aber
einen gewissen Anhaltspunkt, um diese Akteursgruppe in deshalb auf die Unterstützung anderer Akteure an-
Ägypten einzugrenzen.
10 Die Mitglieder der politisch relevanten Elite zeichnen Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2007 (SWP-
sich dadurch aus, dass sie »strategische Entscheidungen auf Studie 20/2007), S. 24.
nationaler Ebene treffen, an der Entscheidungsfindung 12 Vgl. David B. Ottaway, Egypt at the Tipping Point?, Middle
darüber teilhaben, die Definition politischer Normen und East Program Occasional Paper Series, Summer 2010,
Werte oder die Definition dessen, was als ›nationales Inter- Washington, D.C.: Woodrow Wilson International Center
esse‹ gilt, mitbestimmen oder die öffentliche Debatte über for Scholars, S. 5.
strategische Themen maßgeblich beeinflussen«. Volker Per- 13 Zur Rolle des ECES im wirtschaftspolitischen Entschei-
thes (Hg.), Elitenwandel in der arabischen Welt und Iran, Berlin: dungsprozess während der letzten Jahre der Mubarak-Ära
Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2002 (SWP- vgl. Bruce K. Rutherford, Egypt after Mubarak. Liberalism, Islam,
Studie 41/2002), S. 7ff. and Democracy in the Arab World, Princeton: Princeton Univer-
11 Vgl. Thomas Demmelhuber/Stephan Roll, Herrschaftssiche- sity Press, 2008, S. 211ff. Zu den Investitionen der Sawiris
rung in Ägypten. Zur Rolle von Reformen und Wirtschaftsoligarchen, im Mediensektor siehe S. 22ff.
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Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
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Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes
gewiesen, und dazu wählte er die finanzstarken Groß- vom Militär abhängig, wenn es um Landkäufe geht,
unternehmer. Diese wiederum konnten mit Hilfe des etwa zum Bau neuer Fabriken oder für touristische
Präsidentensohnes ihre Interessen politisch durch- Anlagen. Das Militär hat qua Gesetz die Befugnis,
setzen. So war es Gamal Mubarak, der unter dem öffentliches Land zum Zweck der nationalen Sicher-
Slogan »Neues Denken« die inhaltliche Neuausrich- heit jederzeit zu konfiszieren.17 Dieses Vetorecht bei
tung der Regierungspartei vorantrieb. Das Programm der Privatisierung von Bauland wurde von Mitgliedern
der NDP, das in Teilen noch sozialistisch angemutet der Unternehmerelite scharf kritisiert.18
hatte, wurde entsprechend überarbeitet. Maßgeblich Zum Bruch zwischen beiden Akteursgruppen kam
war dabei die vom ECES ausgegebene Leitlinie eines es allerdings nicht. Über Jahrzehnte hatten sich enge
liberalen Wirtschaftssystems mit einem starken Staat. Netzwerke zwischen Militärs und verschiedenen Groß-
Zudem holte Gamal Mubarak zahlreiche bekannte unternehmern etabliert. Letztere fungierten dabei
Unternehmer in die von ihm geführten Vorstands- etwa als Berater und Dienstleister im Zusammenhang
gremien der Regierungspartei. Besonders deutlich mit Rüstungsgeschäften. Beispielhaft dafür ist Shafiq
aber wurde die Allianz zwischen Präsidentensohn Gabr, ein international bestens vernetzter Geschäfts-
und Unternehmerelite bei der Regierungsumbildung mann mit eigenem Verbindungsbüro in Washington.
2005. Sechs der Minister in der Regierung von Premier- Er vertrat über sein Unternehmenskonglomerat Artoc
minister Ahmed Nazif (2004–2011) waren bekannte Group zahlreiche internationale Firmen in Ägypten
Unternehmerpersönlichkeiten mit offenkundigen und versorgte das Militär mit den unterschiedlichsten
Verbindungen zu Gamal Mubarak.14 Diese setzten den zivilen und halbmilitärischen Gütern.19 Zudem pfleg-
wirtschaftsliberalen Kurs der Regierungspartei in die ten Firmen des Militärs Partnerschaften mit auslän-
Praxis um, wobei sie durch ein selektives Vorgehen dischen Großunternehmen, in die ebenfalls Mitglie-
sicherstellten, dass hauptsächlich die Mitglieder der der der ägyptischen Unternehmerelite eingebunden
Unternehmerelite von der neuen Politik profitierten. waren. Die kuwaitische Kharafi-Gruppe etwa, die über
Die Nähe der Großunternehmer zu Gamal Mubarak eine Vielzahl von Subunternehmen in Ägyptens Wirt-
rief indes Widerstände bei anderen Teilen der poli- schaft tätig ist, ging seit 2001 verstärkt Joint-Ventures
tisch relevanten Elite hervor. In der Bürokratie, vor mit dem Militär des Landes ein.20 Eingefädelt wurden
allem aber innerhalb des Militärs wuchs die Sorge, diese Aktivitäten durch den ägyptischen Geschäftsfüh-
man könnte im ägyptischen Herrschaftssystem zuneh- rer der Gruppe, Moataz al-Alfi, einen der politisch ein-
mend marginalisiert werden. Viele Offiziere sahen mit flussreichsten Wirtschaftsführer der Mubarak-Ära.21
Verbitterung, wie der Reichtum einer kleinen Unter-
nehmerschicht zunehmend wuchs, während ihre PepsiCo sowie mit privaten lokalen Anbietern, allen voran
Hayat, einer Marke der Mansour-Gruppe.
eigenen Privilegien sowie die ausufernden Wirtschafts-
17 Vgl. Zeinab Abul-Magd, »The Army and the Economy in
aktivitäten des Militärs öffentlich mehr und mehr in
Egypt«, in: Jadalyyia, 23.12.2011.
Frage gestellt wurden. Seit den späten 1970er Jahren 18 »US Embassy Cables: Egyptian Military’s Influence in
hatte das Militär sein Engagement auch in der zivilen Decline, US Told«, in: Guardian.co.uk, 03.02.2011, <www.
Wirtschaft schrittweise ausgebaut, wobei das exakte guardian.co.uk/world/us-embassy-cables-documents/171176>
(Zugriff am 4.6.2013).
Ausmaß dieser Tätigkeit nicht bekannt ist. Schätzun-
19 Artoc Group belieferte das Militär mit aller Art von Aus-
gen zufolge erbringen Unternehmen, die vom Militär
rüstungsgegenständen, von Schleudersitzen für Düsenjets
kontrolliert werden, 5 bis 15 Prozent der ägyptischen
(ARTOC Suez) bis hin zu Fitnessgeräten für die Sportstudios
Wirtschaftsleistung.15 Dabei stehen Unternehmen des der Armee (ARTOC Sports). Vgl. Artoc Group for Investment
Militärs durchaus auch in Konkurrenz zu privaten and Development, <www.artoc.com/>.
Firmen.16 Vor allem aber sind private Unternehmen 20 Vgl. Shana Marshall/Joshua Stacher, »Egypt’s Generals and
Transitional Capital«, in: MERIP Middle East Report, 42 (2012) 262.
21 Moataz al-Alfi zählte zum Unternehmernetzwerk Gamal
14 Vgl. Demmelhuber/Roll, Herrschaftssicherung in Ägypten Mubaraks. Er war Vizepräsident der Future Generation
[wie Fn. 11], S. 22. Foundation, einer Wohltätigkeitsorganisation des Präsiden-
15 Vgl. Chérine Chams El-Dine, The Military and Egypt’s Trans- tensohns, und Mitglied des Egyptian Center for Economic
formation Process. Preservation of the Military’s Reserve Domains, Studies. Al-Alfis Bruder gehörte mehreren Führungsgremien
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2013 der Regierungspartei NDP an, die angeblich großzügige
(SWP Comments 6/2013), S. 2. Spenden der Kharafi-Gruppe erhielt. Vgl. Marion Dixon,
16 Ein Beispiel ist der Markt für abgefülltes Trinkwasser. The Corporate Standard and the Reproduction of the Dominant Class
Hier konkurriert Safi, die Wassermarke des Militärs, mit in Egypt, Konferenzpapier für die International Conference
Flaschenwasser multinationaler Firmen wie Nestlé und on Global Land Grabbing II, Ithaca, NY, 17.–19.10.2002, S. 10.
SWP Berlin
Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
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